Die Glocken

Kirchliche und weltliche Bedeutung

Im Christentum wurde die Glocke frühzeitig  zum unumstrittenen akustischen Symbol für die Verkündigung der christlichen Botschaft, sie hatte aber auch immer schon eine praktische Bedeutung. Die Glocken ordneten den Tag der Gemeinde, riefen zum Gebet oder läuteten zum Gottesdienst oder begleiteten die Verstorbenen auf ihrem letzten Weg. Neben der spirituellen hatte die Glocke aber auch eine weltliche Funktion, was ihre Verwendung bei den unterschiedlichsten Anlässen zeigt: Es gab das Kriegs- und Friedensgeläut, die Pestglocken und die Sturmglocke, die auch in Berkenthin die Menschen über Jahrhunderte hinweg bei Feuer aus dem Schlaf riss. Während der Weltkriege war den Kirchenglocken dann ein trauriges Schicksal bestimmt: Man ging wenig zimperlich mit ihnen um. Im  1. Welktkrieg wurde die Hälfte aller Kirchenglocken in Deutschland wegen.Metallmangel eingeschmolzen und zu Munition verarbeitet. Im 2. Weltkrieg folgtem diese weitere 50.000 Glocken.


Die Glocken des Jahres 1817

Über die ersten Glocken der Berkenthiner Kirche liegen keine Angaben vor. Ob die Kirche tatsächlich von ihren Anfängen durchgehend drei Glocken gehabt hat, ist nicht gesichert. Wir können nur den Visitationsprotokollen von 1581 entnehmen, dass die Kirche zu dem damaligen Zeitpunkt tatsächlich  Glocken hatte. Bei dem großen Kirchenbrand 1816 wurden dann alle drei damaligen Glocken zerstört. Pastor Häfner sorgte dafür, dass die beiden größeren Glocken bereits 1817 aus den eingeschmolzenen Resten der zerstörten Glocken von der Firma Landré aus Lübeck neu gegossen wurden. Die kleinere der beiden (700 kg) hängt noch heute im Turm. Sie trägt die Aufschrift:

„Diese wie die große Glocke, die am 25. Juli 1816 durch das von einem Gewitter entstandene Feuer zerstört worden ist,  ist auf Anordnung des Pastors Herrn Joh. Math. Haefner und der Kirchenjurathen Asm. Saedemund von Kählstorff, Joh. Dohrendorff von Göldenitz, Joh. Friedr. Höppner von Gr. Berkenthien, Hans Friedr Kaths von Düchelsdorf, 1817 durch Herr Joh. Georg Wilh. Landre zu Lübeck umgegossen worden“.

Auf der entgegengesetzten Seite steht:  „Gott lasse sie nie durch Unfall wieder zerstört und lange zu seiner Ehre gebraucht werden.“

Auf der größeren Glocke (1,4 t) stand zu lesen:

„Homines vos Convoco, Audite, Venite ut adoretis deum ter Optimum maximum.“  Zu Deutsch: „Menschen, ich rufe Euch zusammen, hört und kommt um anzubeten den dreifach besten und größten Gott“. Und auf der anderen Seite: „In Lübeck 1817 gegossen von I. C. W. Landre“. 

Eine Petrusfigur mit Schlüssel deutete darauf, dass die Kirche der damaligen Auffassung zufolge dem Apostel Petrus geweiht war. Der Neuguss der kleinen Sturmglocke (28,5 kg) wurde erst 1820 vom Glockengießer Hirt aus Lübeck vollzogen.

Auf der zweiten Glocke war zu lesen: „Diese wie die große Glocke die am 25. Juli 1816 durch das von einem Gewitter entstandene Feuer zerstört worden ist auf anordnung des Pastors Herrn Joh. Math. Haesner und den Kirchenjuraten Asm. Saedemund von Kählstorff, Joh. Dohrendorff von Göldenitz, Joh. Friedr. Höppner von Gr. Berkenthin, Hans Friedr. Kaths von Düchelsdorf, 1817 durch Herrn Joh. Georg Wilh. Landre zu Lübeck umgegossen worden.“ Blattwerk und Engelsköpfe bildeten auf dieser Seite die Verzierung.


„Geopfert für Deutschlands Wehr…“

Einhundert Jahre später mussten die große und die kleine Sturmglocke abgegeben werden, nur die zweitgrößte mit der historischen Inschrift und dem Verweis auf die Auftraggeber blieb der Kirche erhalten. Der Ausbau der großen Glocke, die immerhin 1330 kg wog, wurde am 21. Juli 1917 von einer Lübecker Glockenbaufirma ausgeführt. Von den 4990 Mark Entschädigung wurden gleich wieder 3500 Mark für den Ankauf der vierten Kriegsanleihe ausgegeben. Nach dem verlorenen Krieg und bedingt durch die galoppierende Inflation der ersten Nachkriegsjahre hatte die Kirchengemeinde schließlich auch dieses Geld verloren. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage konnte aber bereits am 1. Advent 1924 eine neue von Ohlsson aus Lübeck gegossene Glocke geweiht werden. Sie wog 1,8 t , und war damit größer als ihre Vorgängerin. Diese war auf den Ton „cis“ gestinmt und trug die Inschrift:

„Geopfert für Deutschlands Wehr 1917 erneuert zu Gottes Ehr 1924″.  

Glocke 1924

Sie war ausschließlich mit Spendengeldern und dem Erlös einer Verlosung finanziert wordenAber auch dieser Glocke war kein „langes Leben“ beschieden. Die politischen Ereignisse wollten es, dass sie bereits 1941 abgegeben werden musste und eingeschmolzen wurde. Sie wurde am 19. Dezember d.J. von dem Baugeschäft Rautenberg aus Ratzeburg aus dem Turm geholt.


Neuguss mit Spendengeldern 1976

Mehr als drei Jahrzehnte hatte dann die Berkenthiner Kirche nur noch eine Glocke, bis dann schließlich am 1. Mai 1975 die verbliebene Glocke von 1817 auch noch verstummte. Gutachter hatten schwere Schäden festgestellt, so dass eine dringende Reparatur unumgänglich wurde. Aufgrund des Bemühens des  damalige Pastors Wallroth konnten dann aber genügend Spendengelder aufgebracht werden, mit denen sowohl die Reparatur dieser alten Glocke als auch der Guss einer zweiten neuen Glocke bewerkstelligt wurden. Seit 1976 erklingt nun wieder das Doppelgeläut vom Kirchturm. Die neue Glocke trägt die Inschrift:

O Land, Land, Land,  höre des Herren Wort!“

Zuvor hatte Pastor Wallroth u.a. in einem langen Beitrag in den „Lübecker Nachrichten“ vom 10. Juli 1975 zu einer Spendenaktion aufgerufen. In diesem Artikel rekapitulierte er zugleich in eindrucksvoller Weise nach einmal die Geschehnisse der (Berkenthiner) Geschichte seit 1817, dem Herstellungsjahr der alten Glocke:

Die Turmglocke 

Diese Glocke schweigt seit dem 1. Mai 1975. Schwere Schäden, die von Glockensachverständigen festgestellt wurden, sind die Ursachen. Dass Jahrhunderte hindurch die Glocke läutete, gehörte so mit zum Leben in Berkenthin wie das Brausen des Windes in den Baumkronen, der heulende Sturm über den Dächern, wie das Rollen der Gewitter. Im Geläut wurden an den Feiertagen, an Tagen dankbarer Freude und klagender Trauer Gedanken über Fortgang und Ende des irdischen Lebens und Hoffnung auf ein Ziel unseres gemeinsamen Lebens ausgelöst. Das betraf den Angler am Kanal, der am Sonntagmorgen die Glocke hörte, ebenso wie jene, die zum Gottesdienst über die Kanalbrücke gingen.

Wenn etwas aufhört wie das Leben eines Menschen, werden wir nachdenklich. So ist das auch mit der Berkenthiner Glocke. Was sie trägt und wie ein Geheimnis im Glockenstuhl verbirgt, ist der aus dem 13. Jahrhundert stammende wuchtige Turm. Erst mit den geöffneten Schall-Luken – wenn die Glocke erklang – begann er zu leben. Mit ihm das Weiß in den Bogenfeldern seines Gesimes und dem Gold der Weltkugel mit dem Kreuz auf dem Turmhelm.

Die jetzt stillgelegte Glocke (14 Zentner) wurde 1817 von Landré aus Lübeck gegossen; zu ihr gehörte eine zweite, ebenfalls von ihm geschaffene größere Glocke (27 Zentner).  Beide Bronzeglocken stammten aus den eingeschmolzenen Resten eines im Gewitterfeuer zerstörten Glockenpaares und einer kleinen Sturmglocke. Der Neuguss dieser (28,5 kg) wurde erst 1820 vom Glockengießer Hirt aus Lübeck vollzogen. Landrés Glockenguss wurde auch als Beginn einer neuen Friedenszeit verstanden, die jene Epoche vor 1817, die in Blut und Tränen zerronnen war, ablöste.

Die kurzen, jedoch schweren Jahre, in denen Berkenthin und Rondeshagen samt Lübeck zum französischen Kaiserreich gehörten, waren mit der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 vorbei. Der im Schloss von Rondeshagen von Napoleon eingesetzte Maire der Commune Rondeshagen, Canton Steinhorst, Department der Elbemündung, konnte die ihm wie alle anderen bis dahin ungewohnte Tätigkeit beenden; hatte er doch bereits standesamtliche Funktionen umständlich wahrzunehmen, die erst viel später von Bismarck hierzulande eingeführt wurden, Mariages-Urkunden mit dem kaiserlichen französischen Stempel bleiben Zeugnisse jener „Franzosenzeit“. Der mit Napoleon verbündet gewesene dänische König verlor mit dem Sturz des mit seiner Europaidee gescheiterten Kaisers viel. Aber er gewann auch wieder im Zuge der Gleichgewichtspolitik jener Tage, bekam er doch gegen Abgabe des ihm zugesprochenen Gebietes Vorpommern und Rügen an Preußen von diesem 1815 das Herzogtum Lauenburg. Die neu gegossenen Glocken hatten von da an zu den Gottesdiensten zu läuten, in denen fürbittend des dänischen Königshauses gedacht wurde. Bei diesem Verhältnis blieb es, denn der ferne König regierte hier milde, der Erblandmarschall bremste seine Macht, und kein Berkenthiner fand Gründe, sich an der schleswig-holsteinischen Erhebung und Befreiung zu beteiligen. Das 1864 gemeinsam mit Preußen gegen Dänemark militärisch einschreitende Österreich verkaufte seine Siegerrechte auf Lauenburg an Preußen.

Dieser serpentinhaft verschlungene politische Weg – ähnlich dem alten Lauf des Stecknitzkanals – bestimmte das kommende Schicksal der Glocken. Sie läuteten ab 70′ /71 die neue Kaiserzeit ein. Am Sonntag, 15. August 1897, begleitete Glockengeläut die Eröffnung der neuen Eisenbahnstrecke Hagenow – Bad Oldesloe. Im Gottesdienst wurde der Opfer des Bahnbaus gedacht. 1900  wurde einstündig, auf Anordnung seiner Majestät des Kaisers, das neue Jahrhundert eingeläutet. Am 25. Februar 1900 schlugen die Glocken anlässlich des Einweihungsgottesdienstes der denkmalpflegerisch hervorragend renovierten Kirche, Graf Finck Von Finkenstein, als damaliger Landrat, verstand den Tag als Krönung von Werken, die dieser Region eine hoffnungsvolle Zukunft verhießen. Denn am 16. Juni 1900 fuhr der Lauenburgische Kreistag zum ersten Male die neu trassierte Strecke des Elbe-Lübeck-Kanals ab. Wenig später besuchte der Kreistag die renovierte Kirche. Fürst Herbert von Bismarck gab durch seine Teilnahme der seit 1864 mit dem Namen Bismarck eingeleiteten Wende politisch Ausdruck.

Bedeutsam genug wurden die kommenden Jahrzehnte jedoch dadurch, dass eine über 40jährige, Friedenszeit und das Erbe der Väter vertan wurden: Schon 1914 mussten 100 Ostpreußen- Flüchtlinge im Kirchspiel Berkenthin vorübergehend Zuflucht suchen. Wer von deren Kindern ahnte, dass dies sich 30 Jahre später in apokalyptischer Steigerung wiederholen würde. Dem Siegesgeläut beim Fall der russischen Festung, Warschau 1915 folgte schon 1917 – hundert Jahre nach ihrem Guss – die Abnahme der großen und kleinsten Glocke. Militär-, Staats- und Kirchenbehörden hatten dies angeordnet. Die Bronze dieser Glocken zerschmolz im Tiegel des Kanonengusses und mischte sich mit dem Blut der Gefallenen.

Trotz der durch Kriegsausgang und Inflation eingetretenen Lage konnte bereits am 1. Advent 1924 eine neue von Ohlsson aus Lübeck gegossene, jetzt sogar größere Glocke (36 Zentner) eingeweiht werden. Fast die gesamten Kosten waren durch freiwillige Spenden der Gemeinde aufgebracht worden. „Geopfert für Deutschlands Wehr 1917 erneuert zu Gottes Ehr 1924″ lautete die Inschrift. Von „Gottes Ehr“ war bis zur Entwicklung auf 1933 so gut wie nichts deutlich geworden. Dafür wurde zu Gunsten des politischen Lärms auf  Straßen und Plätzen sehr bald das Läuten der Glocken als unzeitgemäß eingeschränkt; ab 1939 wurde ihr Geläut zur Klage und schließlich zum Totengeläut des Deutschen Reiches. So wurde am die erst 1924 gegossene bronzene 36-Zentner-Glocke nach einem nur 17jährigen Gebrauch wieder für Kriegszwecke abgegeben. Aber was zählte dies angesichts der l7jährigen Menschen, die im Orkan des Krieges blieben. Ein Sturm ohnegleichen fegte alles hinweg, was lieb und teuer war. Im Feuerstrom Lübecks und Hamburgs taumelte nachts makabrer Glanz wie St. Elmsfeuer um den Helm des Glockenturmes. AIs Glück im Unglück empfanden es Einheimische, wie die inzwischen zweieinhalbtausend im Kirchspiel eingetroffenen Flüchtlinge, als im Anschluss an den Bittgottesdienst der Gemeinde die seit 2. Mai über Kulpin heranrollenden Engländer am 13. Mai 1945 ihren anglikanischen Dankgottesdienst in der Berkenthiner Kirche hielten. Die Glocken setzten die Engländer dabei selbst in Gang. Manch Nachdenklicher mag sich dabei der Zeiten erinnert haben, als Lauenburg noch Königlich-Groß-Britannisch-Kurfürstlich-Braun-schweig-Lüneburgsch gewesen war (1705-1803).

So war Berkenthin nur noch die eine l4-Zentner-Glocke geblieben; sie schlug 158 Jahre hindurch. „Gott lasse sie nie durch Unfall wieder zerstört und lange zu seiner Ehre gebraucht werden“ lautete  ihre Umschriftung. Das seit 1941 auf nur eine Glocke beschränkte Geläut bedeutete zugleich, dass der früher von allen Glocken erzielte Tonwellenkreis, der sich mit dem Geläut der Nachbarkirchen überschnitt, aufgehört hatte. Nur bei günstigsten Winden war über dem Lande noch der Chor der Glocken vernehmbar. In Außendörfern, die einst mit dem Geläut ihrer Kirche noch hörend, verbunden waren, begann jenes Gefühl der Gemeinsamkeit zu erlöschen, zu dem das Geläut Jahrhunderte hindurch im Kirchspiel beigetragen hatte. SoIl das nun das Ende sein? Verschlossene Schall-Luken seit dem 1. Mai 1975, eine vom Rost zerfressene Eisenbahnbrücke ohne Schien ein über dem Kanal, der unausgebaut bleibende Elbe-Lübeck-Kanal darunter, die Rezession schlechthin? Dies alles kann nicht durch Leistungen des verschuldeten Staates und der durch Steuerrückgang finanziell gefährdeten Kirche geändert werden. Niemand wird aber auch wollen, dass zusätzliche kirchliche Aufgaben im sozialen Bereich (Kindergärten) abgebaut werden.

Aber was die Generationen vorher fertiggebracht haben, muss auch jetzt möglich sein. Durch freiwillige Spenden die Berkenthiner Glocke wieder zum Klingen zu bringen und über dem schönen Land wieder den frohen Klang der Hoffnung hören zu lassen!

Pastor Ernst C. Wallroth, Berkenthin