Lauenburgischer Erbfolgestreit

Schlackenwerth
Schloß Schlackenwerth in Böhmen, Residenz des Lauenburgischen Herzogs
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Herzog Julius Franz von Sachsen-Lauenburg

Einen weiteren Beleg, wie große geschichtliche Ereignisse in die Dorfgeschichte hineinwirkten, bietet der Streit um die lauenburgische Erbfolge zum Ende des 17. Jahrhunderts. Herzog Julius Franz von Sachsen-Lauenburg war 1689 überraschend verstorben, ohne einen männlichen Erben zu hinterlassen. Neben dem Haus Lüneburg-Celle meldeten Kursachsen, Kurbrandenburg, Mecklenburg und sogar Schweden sowie Dänemark ihre Erbansprüche an. Der Welfenherzog Georg Wilhelm von Lüneburg–Celle marschierte kurzerhand mit seinen Truppen im Herzogtum Lauenburg ein, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Er ließ deshalb das alte Ratzeburger Schloss auf der heutigen Schlosswiese in Ratzeburg  abreißen und begann an seiner Stelle eine gewaltige Festung zu errichten. Dabei verdient folgende Randnotiz der Erwähnung. Die in dem Ratzeburger Schloss wohnende Herzoginwitwe Sibylla Hedwig wurde daher zum Auszug aus dem Schloss aufgefordert. Doch die alte Dame weigerte sich strikt. Um dem „Räumungswunsch“ massiv Nachdruck zu verleihen, schaffte man Pulver und Artilleriematerial in die benachbarten Räume. Doch erst als man mit dem Niederreißen des Schlosses begann, wich die energische Fürstin der rohen Gewalt. Ihre Witwenzeit verlebte sie vornehmlich in Tüschenbeck und auf dem Fürstenhof, einem Sommerhaus in Groß Grönau.

Diese militärische Befestigung Ratzeburgs wurde von Dänemark nun erst recht als ein kriegerischer Akt betrachtet, sah man dadurch doch eine Bedrohung der dänischen Herrschaft im Norden. Am 12. August 1693 erschienen 12.000 dänische Soldaten mit ihrem König vor Ratzeburg und am 21. August 1693 begann in den frühen Morgenstunden ein vernichtendes Bombardement auf die Stadt. Mit schwerem Kanonenbeschuss wurde Ratzeburg massiv unter Feuer genommen, so dass am Abend die gesamte Stadt fast völlig in Schutt und Asche lag. Nur der Dom, die Petri-Kirche und vermutlich fünf Bürgerhäuser überstanden das Inferno.  Am 24. August 1693 kam es zu einem Waffenstillstand zwischen den kriegsführenden Parteien. Mit der Auflage, alle Schanzen zu demolieren, hatten die Dänen erreicht, dass Ratzeburg „entfestet“ wurde. Als Gegenleistung erkannte Dänemark die Besitznahme des Herzogtums Sachsen-Lauenburg durch Herzog Georg Wilhelm an.

 

Als Herzog Georg Wilhelm 1689 beschloss,  die Stadt Ratzeburg zur Festung auszubauen, bedeutete dies eine ungeheure Zunahme der ohnehin schon drückenden Abgabenlasten und Arbeitsdienste auch für die Berkenthiner Bauern. Im Frühling 1691 war der Festungsbau zu Ratzeburg in vollem Gange und dauerte bis 1693.

Einige Zahlen vermitteln einen Eindruck, von der gewaltigen Anstrengung, die zum Großteil von den amtsangehörigen Bauern zu tragen war.  So wurden allein 1691 für den Festungsbau  302 Eichen und 1.822 Buchen, 1692/93 wieder 705 Eichen und 11.161 Buchen geschlagen,  zusammen 13.990 Bäume. Da der Waldbestand des Amtes nicht ausreichte, diesen ungeheuren Bedarf zu decken, mussten auch die Wälder des Amtes Schwarzenbeck ihren Beitrag liefern. Dabei dürfte das meiste Holz in den Bau einer Aufwendigen Pfahlreihe rund um die Ratzeburger Insel gegangen sein, durch den offensichtlich das Anlanden von Schiffen und Booten verhindert werden sollte.

Das Fällen, das Ab- und Anfahren der Bäume wurde aber  mit den Spann- und Handdiensten des Amtes, darunter waren auch die Berkenthiner Bauern, besorgt. Für die Jahre 1691 bis 93 sagen die Dienstregister aus, dass fast der gesamte reservierte Handdienst und die Hälfte des Spanndienstes für die Festung in Bewegung waren. Da waren  Eichen und Buchen zu fällen, Pfähle, Palisaden und Latten zurechtzuhauen und über sandige oder morastige Wege zur Baustelle zu transportieren.  Mühsam war aber auch die Arbeit, wenn es darum ging Kalk beim Kalkofen abzuliefern, Erde auszuheben und zu karren oder Lehm zur Ziegelei zu fahren oder Steine anzuliefern und beim Mauern zuzureichen. Tagein, tagaus fuhren die Wagen mit schweren Feldsteinen von Hollenbek nach Berkenthin, wo sie besonders für die Festung gespalten und behauen wurden. Es handelte sich um große Feldsteine, die im Rahmen der Stecknitzregulierung eigentlich dem Schleusenbau dienen sollten. Die Steine lagen bei Hollenbek und wurden nun von Georg Wilhelm gewaltsam für den Festungsbau in Anspruch genommen. Hinzu kamen für die Berkenthiner Fuhrleute die Beförderung von Beamten oder von Soldaten und deren Bagage, Proviant u.v.a.m.

Zu allem mussten die Unmengen von Soldaten, die ebenfalls beim Bau eingesetzt waren oder zur Sicherung der Welfen in und um Ratzerburg herum stationiert wurden, mit allem Lebenswichtigen versorgt werden. Neben einer Unmenge Lebensmittel, – das Amt achtete stets darauf, dass die Proviantkeller für die Soldaten immer gut gefüllt waren, – war Heu und Hafer für die Arbeits- und Artillerie-Pferde zu liefern oder Reet zu schneiden für die Lagerzelte beim Neuen Vorwerk. Dabei berichteten die Chronisten für das Jahr 1691 zugleich von einem ungewöhnlich nassen und kalten Sommer. Die Regierung in Ratzeburg sah sich sogar aufgrund der ungewöhnlichen Notlage gezwungen, den Berkenthiner Bauern die abgelieferte Pachtgerste zurückzugeben, da die Ernte nicht größer gewesen war als die Aussaat. Den gesamten Pachthafer verbrauchte man für die Pachtpferde, und die Heugewinnung war in diesem Jahr so knapp, dass man einen besonderen Beamten ins Mecklenburgische sandte, um zusätzlich Futter für die Baupferde aufzukaufen.

Bombardierung Ratzeburgs 1693

Die Not der Berkenthiner Bauern wurde aber noch größer, als im Jahr 1693 die Kunde vom bevorstehenden Krieg von Mund zu Mund ging. Als im August dänische Soldaten von Oldesloe in Richtung Ratzeburg den Ort durchquerten, befanden sich die Menschen mitten in der Ernte.  Tatsächlich hatte der Überfall der Dänen schlimme  Folgen für die ohnehin Not und Hunger leidende Bevölkerung.  Neben Einquartierungen und Plünderungen hatte das  Amt Ratzeburg, zu dem Berkenthin damals gehörte, noch einmal gewaltige Abgaben an die Dänen zu ertragen: 88.430 Pfund Brot, 2.576 Tonnen Hafer 1.029 Fuder Heu. „Das Jahre 1693 brachte dann großes Herzeleid,“ heißt es dazu in der Berkenthiner Kirchenchronik, denn allein in den letzten 4 Monaten des Jahres mussten 31 Personen auf dem hiesigen Friedhof begraben werden, allein im September des Jahres waren es 19, darunter viele Kinder. Das waren insgesamt doppelt so viele wie in einem normalen Jahr.  Unter den Toten waren  auch zwei Kinder des Pastors Rodemann, die er beide an einem Tag beerdigen musste. Man kann laut Peters Jürs davon ausgehen, dass viele von ihnen schlichtweg an Hunger bzw. Mangel gestorben sind.

Den Kanonendonner der Beschießung Ratzeburgs dürfte man mit Schrecken bis weit über Berkenthin hinaus gehört haben. Innerhalb eines Tages wurde fast die gesamte Stadt in Schutt und Asche gelegt. Da die gesamte Domhalbinsel jedoch zu Mecklenburg gehörte, blieb der Dom weitestgehend verschont. Allerdings haben die Verteidiger selbst aus strategischen Gründen tatsächlich ernsthaft erwogen, den Ratzeburger Dom in die Luft zu sprengen. Diese uns heute unglaublich anmutende Idee ist nur aus dem Grunde nicht zur Ausführung gelangt, da die Berechnungen der Verteidiger ergaben, dass „unser ganzer Vorrat an Pulver dazu schwerlich ausreichen würde. Noch heute sind einige der Kanonenkugeln im Mauerwerk von einzelnen Ratzeburger Häusern nachträglich eingemauert. Insbesondere das berühmte unvollendete „Kegelspiel“ aus acht Kanonenkugeln am nördlichen Querschiff sowie Kugeln an der Eingangshalle des Doms sollen auf die damalige Beschießung Ratzeburgs erinnern.

Ratzeburger Dom

Als dann nach dem Friedensschluss und dem Vergleich die dänischen Truppen wieder abzogen, wird sich große Erleichterung breit gemacht haben. „Da wird man in der Berkenthiner Gemeinde Gott gedankt  haben, als in jenen Oktobertagen die feindlichen Truppen  wieder durch- und fortzogen, hatte man denn viel zu leiden gehabt unter der drückenden Requisition von Naturalien und dergleichen“, heißt es dazu zusammenfassend in der Kirchenchronik. Aber auch in den Jahren danach hatte das Dorf an den Folgen der Einquartierungen zu leiden.

Aus einem Bericht aus dem Jahre  1708 geht hervor, dass das ganze Dorf immer noch in einem ziemlich schlechten Zustand war. Die Äcker waren  kalkgründig und voller Wucherblumen. Die Wiesen waren mittelmäßig, die Weide schlecht. Holz konnten die Bauern nicht verkaufen, da  sie kaum das nötige Brennholz hatten. 1708 war der Roggen so schlecht, dass sie davon nicht einmal genug für die neue Aussaat hatten.

Kartenausschnitt Hoinkhusen Ende 17. Jhdt.

Hinrich Hack, geb. etwa 1640, gest. 24.08.1694 – ein Lebensbild (s.a. Höfe)

Der Fuhrmann der Herrschaft

Zeitzeuge dieser dramatischen Ereignisse war Hinrich Hack. Er wurde um das Jahr 1640 geboren und starb am 24. August 1694. Während sein Geburtsdatum noch eher wage ist, steht das Sterbedatum genau fest. Grund dafür ist, dass uns erst die von Pastor Klopstock ab dem Jahr 1667 geführten Berkenthiner Kirchenbücher überliefert sind. Hinrich Hack hatte von seinem Vater Hans die Hufe in Groß Berkenthin übernommen. Von ihm wissen wir, dass er zweimal verheiratet war und er hatte aus beiden Ehen sieben Kinder. All die Streitigkeiten um die Nachfolge des askanischen Herzogs Julius Franz fielen in seine Lebenszeit, einschließlich der Bombardierung und fast völligen Zerstörung  Ratzeburgs.  Ab 1690 liegen die Ratzeburger Amtsrechnungen – Geld-, Korn- und Dienstregister – nahezu vollständig vor. Sie liefern wertvolle Einblicke in die Wirtschaftsweise auf den Höfen. Hinrich Hack aus Groß Berkenthin hatte zunächst wie sein Vater und  die anderen Hufner des Dorfes  wöchentlich drei Spanntage, also Hofdienste mit einem Viergespann auf den fürstlichen Vorwerken, das heißt den Gutshöfen des Herzogs,  zu leisten. Unter den Welfen-Herzögen bestand Hinrich  Hacks  Aufgabe aber nicht mehr darin, die Äcker des Fürsten zu bestellen, sondern unterschiedliche Fuhrdienste zu leisten. Die penibel geführten Dienstregister haben geradezu den Charakter eines Diensttagebuchs und liefern uns einen sehr genauen Einblick in die Arbeit  eines Berkenthiner Hufners. Die 156 Tage, welche Hinrich Haacke aus Berkenthin im Jahre 1696, also bereits nach dem Abzug dem Bau der Festung und dem Abzug der dänischen Soldaten,  zu dienen hatte, waren fast durchweg mit Frachtfahren für die Obrigkeit gefüllt. Gleichzeitig hatte er noch seine eigene Hufe in Berkenthin zu bewirtschaften.  Seine Arbeitstage für die Obrigkeit brachte er wie folgt zu:

  • 7 Tage musste er für die Regierung in Ratzeburg fahren.
  • An 63 Tage war er für das Amt unterwegs, und zwar hatte er Fische nach Hamburg, Brennholz und Bretter ans Amthaus, Bauholz zur Schäferei auf Neuvorwerk, ,,Leimen nach der Friedeburg“ (d.h. Lehm nach Fredeburg, wo sich eine Försterei befand), Brennholz für Amtspförtner und Nachtwächter zu fahren.
  • An 12 Tagen musste er Holz  zur Amtsziegelei auf Neuvorwerk (vor Ratzeburg) bringen.
  • An 3 Tagen transportierte er Holz zum Kalkofen und an 3 Tagen Mauersteine und Sand an die Hahnenburger Schleuse bei Mölln fahren.
  • An 53 weiteren Tagen brachte er  Bauholz und Brennholz  nach Ratzeburg.
  • An 7 Tagen hatte er sonstige Dienste zu leisten. Letztere hatten gewiss auch ihren Reiz: Anfang Juni 1696 fuhr er einen gewissen  Hofrat Fabricius nach Lübeck, was zu vier Tagen gerechnet wurde, Mitte September 1696 brachte er für den Geheimrat von Bernstorff ,,eine Persohn“ nach Wedendorf, was 3 Spanntage brachte. Anfang November 1696 transportierte Hack Rommeldeus nach Neuhaus an der Elbe – ein damals ebenfalls lauenburgisches Amt. Mit Rommeldeus ist das in Ratzeburg gebraute Bier gemeint; offenbar war es seinerzeit auch bei den Neuhäuser Beamten gefragt. Im Januar 1697 fuhr Hack 4 Tage lang Fische nach Hamburg, Ende März 1697 dann 3 Tage ,,Bagage auß Mölln bis Artlenburg“ und manches mehr.

Ein ganz besonderer Auftrag

Das letzte, was von Hinrich Hack in den Akten erscheint, ist ein weiterer, ziemlich spezieller Fuhrdienst: Am 20. Juli 1697 brachte er Pastor Rodemann von Berkenthin nach Ratzeburg zu einer Hinrichtung, wohl um den Delinquenten  letzten seelischen Beistand zu leisten. Am selben Tag wurden nämlich vor Ratzeburg die zwei  Diebe mit Namen Siebeling und Hartmann hingerichtet, nachdem sie zuvor von der lauenburgischen Regierung zum Tode durch den Strang verurteilt worden waren. Die dafür nötigen Arbeiten am Galgen verrichteten gleich mehrere Berkenthiner Bauern. Und auf ihrem letzten Wege sollte Pastor Rodemann die beiden Missetäter begleiten. Hinrich Hack oblag es, den Geistlichen zum Richtplatz zu fahren. Dabei dürfte er der anschließenden Exekution auch beigewohnt haben. Das ist die letzte Nachricht, die wir von ihm haben.

weiter s. Hannoversche Zeit – Ein Lebensbild IV

Verwendete Quellen:

Schulrat a. D. Scheele-Ratzeburg: Amt und Stadt Ratzeburg während der Festungsaufrüstung, in:  Lauenburgische Heimat[Alte Folge], Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e.V., 1940

Hartwig Fischer: Die Zerstörung Ratzeburgs, auf www.herzogtum-direkt.de – September 29, 2018

Peter Jürs: Chronik der Familie Hack, unveröffentlichtes Manuskript

Kirchenchronik Berkenthin