Bahn – Bahnhof

(Fotos Bilderkarussel: Kreismuseum Herzogtum Lauenburg)

Berkenthin befand sich  in den 90er Jahren des vorletzten Jahrhunderts an der Schnittstelle zweier verkehrstechnischer Großprojekte. Neben dem Bau des Elbe-Trave-Kanals wurde unser Ort nahezu zeitgleich mit dem Bau der sogenannten Kaiserbahn an das deutsche Eisenbahnnetz angeschlossen. Beide Projekte veränderten nicht nur das Ortsbild gravierend, sie brachten auch endgültig die „neue Zeit“ nach Berkenthin und können deshalb in ihrer Bedeutung für die Region kaum überschätzt werden. Am Kreuzungspunkt unterschiedlicher Verkehrswege hatte der Ort schon seit Jahrhunderten eine besondere Bedeutung gehabt, nun aber war man über die modernsten Transportwegen der Zeit, der Schiene und einem modernen Kanal, mit den Zentren des Deutschen Reiches verbunden. Nach all den Veränderungen und Neuerungen, die der Anschluss an Preußen und das Deutsche Kaiserreich mit sich gebracht hatte, war dies ein weiterer großer Schritt in die Moderne, der das Leben und Denken der Berkenthiner stark verändert haben dürfte.  

Die „Kaiserbahn“ – Bedeutung und Planung 

Bereits vor dem Bau der Kaiserbahn gab es zwei Eisenbahnverbindungen zwischen Berlin und Kiel: Die südliche Route führte über Büchen an der Bahnstrecke Berlin–Hamburg, die nördliche über Schwerin-Bad Kleinen und Bad Kleinen-Lübeck. Beide Wege wichen jedoch von der Luftlinie stark ab. Der ehrgeizige Kaiser Wilhelm II. wünschte nach seiner Thronbesteigung 1889  aber eine direkte Verbindung von Berlin zum strategisch wichtigen Flottenstützpunkt in Kiel. Er selbst wurde mit den kaiserlichen Yachten Meteor außerdem regelmäßiger Gast der Kieler Woche, war Kommodore im Kaiserlichen Yacht Club und förderte den Segelsport ebenso wie sein Bruder Heinrich von Preußen. Aber unabhängig von seiner maritimen Neigung hatte er die Bedeutung moderner Verkehrsinfrastruktur früh erkannt, was er in dem Satz  „Die Welt am Ende des 19. Jahrhunderts steht unter dem Zeichen des Verkehrs“ zum Ausdruck brachte. Über die extreme Mobilität des reiefreudigen Kaisers spotteten bereits damals die Zeitgenossen und reimten, sein Großvater sei der „greise Kaiser“ gewesen, sein Vater der „weise Kaiser“ und er selbst sei nun der „Reisekaiser“. Eine Tageszeitung berechnete für ihn im Jahr 1894 nicht weniger als 199 Reisetage und etwa dreißigtausend abgefahrene Bahnkilometer. 

Auf seinen Wunsch hin  wurde nun eine neue Trasse entworfen, die auf dem Gebiet  zwischen den beiden oben skizzierten Strecken verlieft und die Eisenbahnknotenpunkte Hamburg und Lübeck umging. Wilhelm II. soll dabei, wie bereits Zar Nikolaus I. bei der Bahnstrecke Sankt Petersburg–Moskau, mit einem Lineal eine gerade Linie auf einer Landkarte gezogen und so den groben Verlauf vorgegeben haben. Der Staatsvertrag zum Bau der Bahn wurde schließlich am 5. Dezember 1889 unterzeichnet und die Königliche Eisenbahndirektion Altona mit der Planung beauftragt. Sie führte auch die Grundstücksverhandlungen offensichtlich äußerst erfolgreich, denn der anvisierte Streckenverlauf konnte weitgehend realisiert werden. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass die Bahnstrecke das heutige Herzogtum Lauenburg tatsächlich relativ geradlinig von Südosten nach Nordwesten durchquert: Sie zweigt in Hagenow-Land von der Hauptstrecke Richtung Hamburg ab und führte über Zarrentin, Hollenbek, Schmilau, Ratzeburg  und Berkenthin nach Bad Oldesloe und dann über Neumünster weiter bis Kiel. Diese Verbindung war auf alle Fälle kürzer und schneller als die Strecken über Büchen, Schwerin oder gar über Hamburg.

Allerdings nahm der so gewünschte Verlauf nur wenig Rücksicht auf landschaftliche Gegebenheiten. Es mussten eine Reihe von Dämmen oder Brücken gebaut werden bzw. Hügel durchschnitten werden.  So musste in unserer Gegend unter erheblichem Aufwand eine Schneise durch den Bartelsbusch gegraben werden, während gleich danach die sumpfige Stecknitzniederung mit einer Brücke gequert werden musste, deren Gründung in dem schwierigen Gelände den Konstrukteuren naturgemäß erhebliche Probleme bereiten sollte. Und zugleich musste im Anschluss an die Brücke anschließend ein gewaltiger Fahrdamm aufgeschüttet werden, der heute noch den Ort durchzieht.  Auch verlief die Trass durch ehemals rein landwirtschaftliche Gegenden und trennte dadurch viele Felder ab, die keine weitere Anbindung hatten. Um dies  auszugleichen, wurden mit erheblichen baulichen und finanziellen Mitteln zahlreiche Brücken errichtet, die ausschließlich landwirtschaftlichen Zwecken dienten. Einige dieser Brücken existieren heute immer noch, die Brücke, die den Einschnitt im Bartelsbusch überspannte, ist inzwischen durch eine Aufschüttung ersetzt worden.

Es verwundert deshalb nicht, dass diese Linienführung von Beginn an nicht unkritisch gesehen wurde. Insbesondere aus Mölln waren immer wieder skeptische Stimmen zu hören, immerhin hatte man hier ebenfalls auf eine Anbindung gehofft und frühzeitig eine Alternativtrasse von Hagenow über Gudow nach Mölln und dann weiter über Nusse und Sandesneben nach Bad Oldesloe ins Spiel gebracht. Schließlich war dann aber doch die Entscheidung zugunsten der nördlichen Route über Ratzeburg gefallen. Der „Möllern Correspondent“ schreib dazu in der Lauenburgischen Zeitung vom 22. Juli 1897: “ Man kann nicht anders sagen, daß die Möllner sich in stumme Resignation ergaben, als die Festsetzung der Trasse über Ratzeburg eine beschlossene Sache war. (….) Wenn wir die Wollheimsche Karte von unserem Kreis zu Hand nehmen, dann sieht man, daß durch die Führung der Bahn über Schmilau, Ratzeburger Bahnhof, Einhaus, Bartelsbusch, Kl. Berkenthin, Sierksrade, Kastorf ein großer Bogen entstanden ist; deshalb kann man von einer ganz direkten Linie, von der man um mehrere  Kilometer abgewichen ist, nicht die Rede sein. Jedenfalls wäre das Bauterrain über Mölln ein viel günstigeres gewesen. Die Brücke bei Berkenthin hat große Schwierigkeiten gemacht. Es ist nicht ausgeschlossen, daß dort auch in Zukunft unvorhergesehene Fälle auftreten.“ Der Schreiber schloss dann mit dem Rat: „ Jedenfalls müssen die Belastungsproben auf der Brücke vor Eröffnung der Bahn eifrigst wiederholt werden. Die Menschenkinder staunen und stehen der kirchturmhohen Brücke (80 Fuß) mißtrauisch gegenüber.“ 

Um aber trotzdem nicht abgehängt zu werden und um  nicht im wahrsten Sinne des Wortes den Anschluss (an die Reichshauptstadt Berlin) zu verpassen, wurde erwirkt, dass unmittelbar nach Fertigstellung der Strecke zwischen Ratzeburg und Zarrentin noch eine Verbindung zwischen Mölln und Hollenbek geschaffen wurde. Diese wurde am 1. April 1899 eingeweiht und täglich von mehreren Güter- als auch mit Personenzügen („Hein Hollenbek“) bedient.

Unterdessen gingen die Bauarbeiten an der Hauptstrecke zügig voran, die in drei Abschnitten dem Verkehr übergeben werden konnte:

1. September 1894: Hagenow Land–Wittenburg         1. Mai 1896: Wittenburg–Zarrentin       15. August 1897: Zarrentin–Ratzeburg–Bad Oldesloe

Ausschreibung 1895
Das Stecknitzviadukt kurz vor seiner Vollendung im Sommer 1896 (Foto: Kreismuseum Ratzeburg)

Man muss sich vergegenwärtigen, dass zu der Zeit, als sich der Eisenbahnbau Berkenthin näherte, also in den Jahren 1896/97 auch der Kanalbau auf vollen Touren lief. 1896 arbeiten an den verschiedenen Baustellen entlang der Stecknitz 1.100 bis 1.200 Mann, wobei zu der Zeit 14 Lokomotiven, 16 Lokomobile, 8 Dampfhammer, 4 Prähme, 11 Zentrifugalpumpen, 5 Schwimmbagger, 1 Spülbagger, 3 Trockenbagger, eine Arbeitsbahn mit 600 Transportwagen im Einsatz waren. Zwar wurde in Berkenthin selbst noch nicht gearbeitet, 1897 war das Kanalbett erst bis Kählstorf ausgehoben, man rechnete mit Baubeginn hier frühestens Ende jenes Jahres, aber dennoch fuhr schon hier die Transportbahn von Mölln bis zur Geniner Eisenbahnbrücke , die u.a. die Schleusenbaustellen in Behlendorf und Lankau mit Material versorgte. Es herrschte eine Betriebsamkeit in der ganzen Gegend, die sie in ihrer Geschichte noch nicht erlebt haben dürfte. Dabei stellte alleine schon die Unterbringung und Versorgung der vielen Arbeiter eine große Herausforderung für den Ort dar. Viele Eisenbahnarbeiter mussten im Ort untergebracht und versorgt werden und viele kamen mit ihren Familien. Die  Kinder mussten beschult werden, und so stieg die Schülerzahl der 1-klassigen Berkenthiner Schule bei Beginn der Winterschule 1896 auf 93. Da hierdurch die Schulklasse gänzlich überfüllt war, wurde zum 1. Januar 1897 seitens der Königlichen Regierung in Schleswig die Halbtagsschule eingerichtet. Das heißt, die eine Hälfte der Schüler wurde vormittags, die andere nachmittags beschult. Für die Mehrarbeit des Lehrers erhielt derselbe jährlich 150 M. Für die Bahnarbeiter und kurz danach auch für die Kanalarbeiter wurden außerdem besondere Gottesdiente angeboten.  Als erstmalig 1895 erstmals ein Weihnachtsgottesdienst mit anschließender Bescherung im Pastorat durchführt wurde, wurde dieser von 130 Arbeitern nebst. Familienangehörigen besucht. Für die Gottesdienste außerhalb der Festtage bestand hingegen wenig Interesse. Für die Kanalarbeiter wurden Gottesdienst in der Kantine der Arbeiterunterkunft kurz vor Göldenitz angeboten. Aber auch hier beklagte sich Pastor Lüders über die geringe Beteiligung, was aber darauf zurückzuführen war, dass die meisten Kanalarbeiter aus katholischen Gegenden stammten. Dass das Zusammenleben mit den vielen Fremden nicht immer ganz harmonisch ablief, verrät eine Zeitungsmeldung vom Juni 1897: „4. Juni. Bedauerliche Ausschreitungen zwischen Dienstknechten und Eisenbahnarbeitern fanden am Sonntagabend in Groß Berkenthin statt, wobei Knüppel, Zaunlatten usw. als Angriffswaffen dienten. Zwei angetrunkene Bahnarbeiter, die eine Strecke zurückgeblieben waren, wurden von mehreren Knechten derart zugerichtet, daß beide per Wagen nach dem Krankenhause in Ratzeburg  befördert werden mußten. Dort liegt der eine schwerverletzt darnieder.“ Der Schreiben schloss mit der bangen Frage: „Wann wird diesem gefährlichen Treiben endlich Einhalt geboten?“, was darauf hindeutet, dass es sich keineswegs um einen Einzelfall gehandelt haben dürfte.

Die Strecke von Bad Oldesloe nach Ratzeburg wurde zeitgleich mit der Strecke  Ratzeburg – Zarrentin – Hagenow Land  erbaut. Dabei wurde das Projekt sowohl von Ratzeburg als auch von Oldesloe gegen Berkenthin vorangetrieben. Hier sollte der Lückenschluss mit dem Bau der Eisenbahnbrücke und dem Fahrdamm, der zugleich die Funktion einer Anfahrrampe hatte, erfolgen.  Von Oldesloe kommend konnte bereits am  15. Mai 1897 zwischen Bad Oldesloe und Sierksrade ein „Wagenladungs-Güterverkehr“ betrieben werden. Am 10. Juni d.J. wurde  dann die Teilstrecke Sierksrade Klein Berkenthin ebenfalls nur für den Güterverkehr freigegeben. Die weitaus größere technische Herausforderung bildete aber das Teilstück zwischen Ratzeburg und Berkenthin. Hier musste, wie bereits angedeutet, ein kilometerlanger Einschnitt durch den Bartelsbusch geschaffen werden. Von Einhaus aus gruben sich Hunderte von Arbeitern mit Hacke und Spaten kilometerweit durch den ganzen von Wald bestandenen Höhenzug. Gearbeitet wurde Tag und Nacht, nachdem an der ganzen Strecke eine elektrische Beleuchtung installiert worden war. Tausende von Kubikmetern Boden wurden bewegt und mussten zunächst in riesigen Hügeln zwischengelagert werden, weil sie später für den Bahndamm in Berkenthin benötigt wurden. Anschließend mussten die  entstandenen Hänge gesichert und befestigt werden, weil diese immer wieder abzurutschen drohten.  Schließlich wurde auch dieser gewaltige Einschnitt mitten im Bartelsbusch mit einer Brücke überspannt.

 Am 1. April 1896 begann man mit den Arbeiten für die neue Eisenbahnbrücke, die auf einer Länge von über 200 m das Stecknitztal überqueren sollte. Es kam eine vierteilige Balkenbrücke zur Ausführung, die 440.000 RM kosten sollte. Der Baubeginn hatte sich hinausgezögert, da es, wie erwartet, Probleme mit der Gründung der fünf Stützpfeiler in dem weichen Terrain gegeben pastedGraphic.pnghatte. Immerhin standen Mitte Mai 1896 aber schon 3 der 5 Pfeiler, es fehlten lediglich noch die Pfeiler a und b am linken Stecknitzufer, an denen zu der Zeit unter der Leitung des Bautechnikers Kindlers aus Hamburg unter Hochdruck gearbeitet wurde. Unmittelbar nach Fertigstellung der Brückenpfeiler wurde dann mit dem Bau der eigentlichen Brückenkonstruktion begonnen. Hiermit war die „Gute Hoffnungshütte“ in Oberhausen betraut worden. Beeindruckend war allein schon das Baugerüst aus Holz, das die für damalige Verhältnisse gewaltige Summe von 27.000 Reichsmark kostete. Aus Gründen der Kostenersparnis wurde aber darauf geachtet, dass das Bauholz nach dem Rückbau des Gerüstes wiederverwendet werden konnte.  Nach und nach trafen auch die vorgefertigten Eisenteile ein, insgesamt 26 Waggonladungen, und stapelten sich am Stecknitzufer. Gearbeitet wurde dann in einem für heutige Begriffen unglaublichen Tempo, so dass die Brücke bereits nach wenigen Monaten  im August 1896 fertiggestellt werden konnte. Dazu hieß es in den Lauenburgischen Nachrichten: „18. August. Heute prangte unsere Eisenbahnbrücke im Flaggenschmuck. Den Anlaß dazu gibt die Einschlagung der letzten Niete in derselben.“ Alles war fertig, bis auf das Geländer. Damit war die Arbeit der Brückenbauer getan und sie konnten wieder nach Hause fahren. Das Baugerüst wurde abgebaut, und zum ersten Mal wurde das ganze imposante Bauwerk sichtbar. Aber nur für kurze Zeit, denn nun wurden die Pfeiler noch einmal eingerüstet, da sie noch mit Granitplatten verkleidet wurden. Dieses sogenannte „Stecknitz-Viadukt“ war zur Zeit seiner Eröffnung eine der größten Eisenbahnbrücken Schleswig-Holsteins.

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Mit einiger Verspätung   begann danach das Aufschütten des Bahndamms. Dazu waren bis zu 150.000 Raummeter Boden nötig, der nun Tag und Nacht von Bartelsbusch über Kippkarren über die neue Brücke dorthin befördert wurde. Man veranschlagte für diese Arbeiten 13 bis 14 Wochen Bauzeit, wobei man davon ausging, dass an einem Arbeitstag ca. 1000 m³ Material bewegt werden konnten. Langsam aber stetig schob sich der Damm Richtung Bahnhof in Klein Berkenthin vor, wobei drei Straßendurchlässe (Tunnel) für die Straßen nach Klempau, zur heutigen Turnierkoppel und nach Rondeshagen  zu bauen waren.  Gearbeitet wurde die ganze Zeit mit Hochdruck, da man unbedingt den Terminplan einzuhalten hatte. Möglicherweise war es dem hohen Arbeitstempo geschuldet, dass es immer wieder zu schweren Unfällen kam. Am 10. Mai 1897 entgleiste beispielsweise ein Arbeitszug in voller Fahrt. Ein Bremser wurde zerquetscht und kam zu Tode. Eine weitere Katastrophe wurde am 16. Juni zu einem 1897 gerade noch verhindert, als ein Erdrutsch in unmittelbarer Nähe der Brücke einen Teil des Damms wegriss. Ein Arbeitszug, der bereits auf der Brücke in Richtung Damm fuhr, konnte gerade noch gestoppt werden. Die Lauenburgische Zeitung schrieb dazu: „Wäre die Gefahr nicht rechtzeitig erkannt worden, so würde der Zug in die Tiefe gerissen sein und mehrere Menschen würden unter den Trümmern den Tod gefunden haben.“ Aber auch grober Unfug oder gar Sabotage führte zu Arbeitsverzögerungen. So verunglückte am 23. November 1896 bei Kastorf ein mit Kies beladener Transportzug, nachdem „nichtsnutzige Hände“ schwere Steine auf die Gleise gelegt hatten. Wegen dichten Nebels konnte der Zug nicht mehr zum Stehen gebracht werden, so dass die Lokomotive und einige Waggons entgleisten. Menschenleben kamen nicht zu Schaden.

 Mit einer kleinen zeitlichen Verzögerung fand dann am 2. August die feierliche Abnahme der Teilstrecke Berkenthin Ratzeburg statt, nachdem vorher in „fieberhafter  Tätigkeit“ Schwellen und Schienen verlegt worden waren, wie die Lauenburgische Zeitung zu berichten wusste. Die Brücke wurde zugleich einem Belastungstest unterzogen, indem ein aus mehreren Lokomotiven bestehender Zug langsam die Brücke überquerte. Aber das Bauwerk überstand seine Bewährungsprobe mit Bravour. Im September 1896 war auch das Bahnhofsgebäude am Ortsrand von Klein Berkenthin fertiggestellt worden, dass neben einem Büroraum und einem Wartesaal im Erdgeschoss auch eine Dienstwohnung im Obergeschoss enthielt. Dazu kamen Verladeeinrichtungen für Güter aller Art. Laut der „Betriebsanleitung der Haupteisenbahne Deutschlands“ mussten alle „Stationen und Haltestellen (…) für die Abfertigung von Personen, Gepäck, Stück- und Wagenladungsgütern, Tieren, Fahrzeugen und Leichen (!) eingerichtet (sein).“ An der Stelle, wo die Bahn die Straße nach Disnack (Disnacker Weg) querte, wurde zudem ein Bahnwärterhaus errichtet. Aufgabe des Bahnwärters, der dort mit seiner Familie lebte, war es neben der Kontrolle und Wartung des Streckenabschnitts durch den Bartelsbusch  den Bahnübergang zu sichern, sobald sich ein Zug näherte. Dazu sperrte er eine Fahne schwenkend den Weg solange ab, bis der Zug durch war. Auch war entlang der ganzen Strecke von Ratzeburg nach Oldesloe eine Telegraphenleitung mit Hunderten von Masten erstellt worden.  Schließlich konnte die gesamte 78,33 km lange Strecke von Hagenow nach Oldesloe  am Sonntag, dem 15. August 1897 feierlich eröffnet werden. Trotzdem zogen sich die Arbeiten an dem Bahnkörper noch wochenlang hin, wobei vor allem die Böschungen gesichert werden und die Bahnschwellen „gestopft“ werden mussten.

Die Eröffnung am 15. August 1897: Einen Eindruck von der Hochstimmung, die an diesem Tage an der ganzen Strecke herrschte, vermittelt der Bericht der Lauenburgischen Zeitung vom Folgetag, der über die Ereignisse in Ratzeburg schrieb: „ Gestern wurde die Teilstrecke Zarrenthin – Ratzeburg – Berkenthin der Eisenbahn Hagenow – Oldesloe dem Verkehr übertragen und damit der Vollbetrieb auf der ganzen Linie eröffnet. Die ersten Frühzüge trafen hier mit bekränzten Lokomotiven ein, der um 7 Uhr 32 einlaufende Zug trug die blumenumwundene Inschrift „Gruß aus Zarrenthin“. Auf einzelnen Stationen wurden die Morgenzüge sogar mit Musik empfangen, wie z.B. im benachbarten Schmilau, wo sich die Möllner Stadtkapelle zur Begrüßung auf der Station eingefunden hatte. Sämtliche Züge, sowohl in der Richtung auf Oldesloe wie auf Hagenow waren tagsüber voll besetzt und der Verkehr infolgedessen auf allen Stationen ein sehr lebhafter. Auf der hiesigen Station trafen gestern allein mittelst der Bahn über 500 Personen ein.“ In Berkenthin lobte Pastor Lüders beim Festgottesdienst in der Kirche dieses Werk mit überschwänglichen Worten: „In dieser neuen Bahn erkennen wir eine gute Gabe von oben herab von dem Vater der Liebe, ein unermesslich segenreiches  Geschenk des so freundlichen Gottes.“ In seiner weiteren Predigt erkannte er auch für die hiesige Kirchengemeinde Vorteile durch die Bahn, da doch nun die lübschen Dörfer Sierksrade und Düchelsdorf und das Gut Groß Weeden über den Bahnhof in Sierksrade näher an die Kirche heranrückten. Aber er sah auch die Gefahr, dass die „Heiligung des Sonntags und die Sonntagshuldigung“ durch ein solches Bauwerk gestört werden könnte. Entsprechend schloss er mit den Worten: „Es ist des Satans Lust, das Seine zu tun, dass das von Gott zum Segen Geschenkte den Menschen zum Fluch werde.“

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Mit Eröffnung des letzten Abschnitts wurde auch der durchgehende Verkehr auf der Gesamtstrecke aufgenommen. Der Betrieb oblag der Preußischen Staatsbahn, obwohl der östliche Teil im damals selbstständigen Mecklenburg lag. In den Folgejahren nutzte auch Wilhelm II. mit seinem Hofzug die Strecke regelmäßig für Fahrten nach Kiel, sowohl zum Reichskriegshafen, zur Kieler Woche wie auch als Ausgangspunkt seiner jährlichen Nordlandfahrten, weshalb sie im Volksmund bald als „Kaiserbahn“ bezeichnet wurde. Dennoch benutzte der Monarch zuweilen lieber die Nordroute über Lübeck; die Gefahr eines Attentats war auf der neuen Strecke wegen der Brücke über den Elbe-Lübeck-Kanal höher. Ob und wie oft er  Berkenthin passiert hat, lässt sich nicht mehr eindeutig beantworten, haltgemacht hat er hier jedenfalls nie.  Lediglich in  Schmilau soll er einmal ausgestiegen sein, um sich mit dem adligen Gutsbesitzer v. Treuenfels aus Althorst zu treffen. Fest steht jedenfalls, dass der ganze Fahrplan auch in Berkenthin durcheinander geriet, wenn sich seine Majestät  in seinem Sonderzug auf Reisen befand. 

Anfang des 20. Jahrhunderts verkehrte ein Schnellzug, in den 1930er Jahren zwei Schnellzüge zwischen Berlin und Kiel und zurück über den Südostteil der Strecke zwischen Hagenow und Ratzeburg. In diesem Abschnitt rollten pro Tag bis zu 60 Personen- und Transportzüge. Von Ratzeburg nach Kiel verkehrten diese Züge allerdings über Lübeck und damit über die Strecke der privaten Lübeck-Büchener Eisenbahn. Die Strecke zwischen Ratzeburg und Oldeloe hatte vor allem für Personennah- und Güterverkehr Bedeutung. Welche Bedeutung die Bahn für Berkenthin hatte, mag man daran ermessen, dass es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum Autos oder andere öffentliche Verkehrsmittel gab. Man ging vielmehr zu Fuß. Mit der Bahn war man nun schnell in Ratzeburg oder Oldesloe, von wo man direkte Anschlüsse nach Lübeck oder Hamburg hatte. Selbst die aufstrebende Metropole Berlin war in wenigen Stunden erreichbar. Die Fahrpreise waren moderat, zumal der Reisende zwischen vier Komfortniveaus (Klassen) unterscheiden konnte. So kostete die Fahrt von Berkenthin nach Ratzeburg 1897 in der Dritten Klasse, die von den meisten genutzt wurde, 40 Pf, nach Hagenow immerhin 2,40 Mark. In die andere Richtung zahlte man nach  Sierksrade 10 Pf, nach Kastorf 20 Pf und nach Oldesloe schließlich 80 Pf. Wollte jemand Erster Klasse reisen, musste er das Doppelte bezahlen, die Zweite Klasse kostete entsprechend das Anderthalbfache. Der Fahrpreiskatalog sah sogar noch eine Vierte Klasse vor. Diese Eisenbahnwagen waren noch spartanischer ausgestattet als die der Dritten Klasse: Bänke gab es darin nur an den Seitenwänden, quer zur Fahrtrichtung, ansonsten waren nur Stehplätze vorhanden. Später wurden auch einfache Lattenbänke zum Sitzen installiert. 

Der Ort befand sich am Beginn einer neuen Zeit und die Lauenburgische Zeitung schrieb von einem „aufblühenden Ort“, in dem eine rege Bautätigkeit herrschte und neue Unternehmen siedelten sich entlang der Bahnstrecke an wie etwa das Sägewerk gegenüber dem Bahnhof. Auch hoffte man, dass vermehrt Urlauber und Reisende über den Kanal und die Bahn in den Ort kommen würde. So plante der Bauunternehmer Heinrich Hagen noch im Jahr der Bahneröffnung den Bau eines Hotels direkt am Kanal und an der Chaussee von Groß nach Klein Berkenthin. Ob sich im Nachhinein alle Erwartungen erfüllt haben, die damals an die neuen Verkehrswege geknüpft wurden, muss dahingestellt bleiben.

Am 1. Oktober 1938 wurde der Bahnhof in Berkenthin umbenannt.

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(Foto: Kreisarchiv Stormarn)

Der preußische Staatseisenbahnbeamte Sorgenfrei mit Familie

 

Bahnhofsvorsteher 1911, 1922  Heinrich Sorgenfrei (1932 in Ruhestand)

Weichensteller 1911 Stölting + Heinrich Wiet

1922 Eisenbahn Güterabfertigung Tel. 23

1932 Bahnarbeiter Wilhelm Benthin, Heinrich Dietrichs

Bahnmeister Detlef Grube, Schrankenwärter Richard Zern

Oberbahnwärter Heinrich Mühlenpfort

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann der Niedergang der Bahn. Zunächst einmal rollten vor allem nachts noch sehr viele Militär- und Güterzüge über den Berkenthiner Bahndamm. Vor allem gegen Ende des Krieges waren die Zügen dann auch immer öfter Ziele von Tieffliegerangriffen. Im Frühjahr 1945 wurde im Bahnhof Hollenbek ein Munitionszug von US-amerikanischen Bombern getroffen. Die explodierende Munition riss ein bis zu 12 Meter tiefes Loch von 150×25 Metern. Schienenbruchstücke und der Kessel der Lokomotive flogen bis zu einem Kilometer weit und bis in den Dorfkern. Die Beeinträchtigung des Schienenverkehrs war dennoch bereits nach wenigen Wochen behoben. In Kastorf wurde am 18. April ein mit Munition beladener Güterzug von Tieffliegern angegriffen und explodierte. Durch das Feuer schmolzen die Gleise und die Schwellen verbrannten.  Am Abend desselben Tages  erfolgte eine weiterer Angriff auf in Sierksrade und Groß Weeden abgestellte Bahnzüge, die wahrscheinlich auch Munition geladen hatten. Auch hier gab es starke Detonationen und große Rauchentwicklung. Danach war Berkenthin von der Außenwelt abgeschnitten. Es fuhren nun  keine Züge mehr und  es kam keine Post und keine Zeitungen mehr an.

Unmittelbar nach der deutschen Kapitulation und der damit verbundenen Aufteilung in die britische und die sowjetische Besatzungszone wurde der Abschnitt Zarrentin–Hollenbek stillgelegt und 1952 auf DDR-Gebiet zwischen Zarrentin und der Grenze zurückgebaut. 1949 erfolgte die Zurückstufung zur Nebenbahn. Am 17. Mai 1953 wurde der Bahnhof Klein Zecher in Betrieb genommen. Die Einrichtung des neuen, unmittelbar an der Grenze gelegenen Endbahnhofs kam maßgeblich auf Betreiben der örtlichen Landwirtschaft zum Bau einer Verladeanlage für Zuckerrüben zustande. Neben dem neuen Endbahnhof wurden auch die Haltepunkte Hakendorf, Sterley und Alt Horst eröffnet. Zum Einsatz kamen Schienenbusse.

Schienenbus
Quelle Fotoalbum H. Schwarz

1959 wurde der Abschnitt zwischen Hollenbek und Mölln eingestellt, am 30. September 1962 endete schließlich der Personenverkehr auf dem gesamten westdeutschen Abschnitt zwischen Klein Zecher und Bad Oldesloe. Am 1. September 1971 wurde auch der Güterverkehr zwischen Hollenbek und Klein Zecher sowie zwischen Ratzeburg und Bad Oldesloe eingestellt. Bis Jahresende 1971 lief allerdings auch nach der offiziellen Stilllegung der Güterverkehr nach Klein Zecher noch vorübergehend weiter. Im Jahr 1972 wurde der Oberbau auf diesen Abschnitten entfernt. Auf den verbliebenen 13 Kilometern bis Ratzeburg blieb allerdings ein spärlicher Güterverkehr bestehen, mit dem vor allem Zuckerrüben ins niedersächsische Uelzen transportiert wurden. Dieser Streckenabschnitt konnte sich bis zum 14. Dezember 1994 halten, wurde dann allerdings wegen Unrentabilität ebenfalls eingestellt.

weiter s. Die Sprengung der Eisenbahnbrücke

Berichterstattung der Lauenburgischen Zeitung (Kreisarchiv  Herzogtum  Lauenburg)

Kirchenchronik Berkenthin a.a.O.

www.kaiserbahn.de

Detaillierte technische Angaben zur Brücke finden sich in: Anmerkungen zur Geschichte der Eisenbahnlinie Bad Oldesloe-Hagenow und der Eisenbahnbrücke in Berkenthin von Wolfgang Heidemann, in: Mitteilungen des Canal-Vereins, Rendsburg 1989

Bilder wie angegeben

(Fotos Bilderkarusel: C. Speth)

Mehr zur Kaiserbahn hier: https://www.kaiserbahn.de/galerie/20-065-2-berkenthin/

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