Kirchsteige in früheren Zeiten
Im Bereich der Kirchsteigbrücke lag vermutlich der älteste Übergang über die Stecknitz. Hier gab es eine natürliche Furt, die es ermöglichte gefahrlos das Gewässer zu durchfahren. Eine Brücke war hier erst Mitte des 14. Jahrhundert mit dem Bau der ersten Stauschleuse von Nöten. Aber wann diese dann tatsächlich gebaut wurde ist bisher noch unklar. 1609 gab es jedenfalls schon eine, wie man auf der Karte aus diesem Jahr erkennen kann.
Allerdings war diese Brücke zu keiner Zeit für schweren Verkehr ausgelegt, sondern war immer nur den Fußgängern vorbehalten. Überhaupt waren die Menschen in früheren Jahrhunderten vornehmlich zu Fuß unterwegs. Innerhalb des Ortes sowieso, aber auch vom Kirchort Berkenthin zu den Außendörfern der Gemeinde. Tatsächlich spann sich ein dichtes Netz von Fußwegen durch den Ort und von Dorf zu Dorf. Wollte man zur Kirche, nutzte man selbstverständlich diese Kirchsteige, die häufig über Wiesen und Felder führten und oft nicht mehr waren als ausgetretene Pfade. Übergänge bzw. Durchbrüche durch Knicks und Wälle waren oft mit großen Feldsteinen markiert.
An der Fußsteigbrücke in Berkenthin trafen sich mehrere dieser Steige, da man nur hier die Stecknitz überqueren konnte. Über sie mussten die Klein Berkenthiner, aber auch die die Bewohner der westlichen Außerdörfer, wenn sie in die Kirche wollten. Der Gottesdienst hatte dabei für die Menschen eine weitaus größere Bedeutung als heute, zumal von der Kanzel auch regelmäßig Anordnungen und Gesetze der weltlichen Obrigkeit verkündet wurden. Aber nicht nur der Kirchgang führte über diese Brücke, seit jeher war der Kirchsteig die natürliche direkte Verbindung zwischen den beiden Ortsteilen.
Wegen ihrer durchaus überregionalen Bedeutung war die Zuständigkeit einschließlich der Bauunterhaltung seit eh und je beim herzoglich-königlichen Amt bzw. später beim Kreis Herzogtum Lauenburg angesiedelt. So finden sich auch heute noch die Bauunterlagen im Kreisarchiv in der Abteilung des Amtes Ratzeburg.
Dabei hat die Brücke ihr Aussehen immer wieder verändert. Wie lange und seit wann sie die Stecknitz, wie auf dem Aquarell zu erkennen, hoch überspannte, ist unklar. Vieles spricht dafür, dass es sich lange Zeit um einen einfachen Holzsteg gehandelt hat, der hochgeklappt wurde, um Salzprähmen die Durchfahrt zu ermöglichen. Dies belegen wiederholte Klagen der Berkentniner aus dem 18. Jahrhundert, die sich darüber beschweren, dass Stecknitzfahrer nach der Durchfahrt die Brücke nicht wieder ordnungsgemäß schließen würden.
Die heutige Kirchsteigbrücke
Nach dem Bau des damaligen Elbe-Trave-Kanals wurden 1899 zeitgleich die Straßenbrücke und die Kirchsteigbrücke von der Firma Beuchelt & Co. aus Grünberg in Schlesien neu errichtet. Die einzelnen Elemente waren vorgefertigt nach Berkenthin gebracht worden und wurden hier von den Arbeitern der schlesischen Firma zusammengefügt. Seitdem überspannt diese filigrane, genietete Stahlfachwerkkonstruktion als Stabbogenbrücke mit 44,77 Meter Stützweite den heutigen Elbe-Lübeck-Kanal. Bis zur Renovierung der Brücke im Jahre 2000 fand sich an der Brücke noch eine Platte, die auf die damalige Herstellerfirma aus Grünberg verwies.
Aus der Geschichte des Ortes ist auch diese Brücke nicht mehr wegzudenken. Im Volksmund war und ist sie einfach die „Hochzeitsbrücke“, weil sich seit jeher die Hochzeitsgesellschaften nach der kirchlichen Trauung in feierlicher Prozession über die Brücke zur Feier in Meier´s Gasthof bewegten. Fand die eigentliche Hochzeitsfeier dann einmal nicht bei Meiers statt, warteten hier die geschmückten Pferdefuhrwerke oder später die Autos, um die Gesellschaft in die jeweilige Lokalität zu befördern.
Mit dem Auto über die Brücke
Daneben ranken sich viele weitere Geschichten und gerne erzählte Anekdoten um diese Brücke. Von einer besonderen „Heldentat“ weiß der frühere Gastwirt Hans-Otto Meier zu berichten: Als wieder einmal eine Runde „honoriger Bürger“ in feucht-fröhlicher Runde in seinm Lokal zusammensaß, kam die Frage auf, ob es nicht möglich sei, die Fußgängerbrücke auch mit einem Auto zu überqueren. Keine Frage! Und gegen eine Runde Korn und Bier machte sich der Friseur und Leiter einer Bankfiliale Heinrich Burmester, genannt Hein Bummel, daran, den Beweis anzutreten. Und mit sicherer Hand lenkte er sodann seinen immerhin nicht ganz schmalen Opel Commodore auf dem kürzesten Weg nach Groß Berkenthin über die schmale Brücke. Aber damit nicht genug. Gegen eine weitere Runde Hochprozentigen fuhr er danach den großen Wagen sogar im Rückwärtsgang zurück an das andere Ufer. Der Platz war immerhin so knapp bemessen, dass sich die Türen des Wagens keinen Spalt mehr öffnen ließen.
Aber auch schwere Zeiten „durchlebte“ die Brücke. Als sich gegen Ende des Krieges Einheiten der British Army Berkenthin näherten, wurde die Brücke wie auch die anderen Brücken des Ortes von deutschen Pionieren vermint und zur Sprengung vorbereitet. Nur dem couragierten Einsatz des damaligen Bürgermeisters Heinrich Schwarz und der Telefonistin Lotti Schreiter ist es zu verdanken, dass es nicht soweit kam. Nach der Besetzung des Ortes durch die Engländer war der Übergang über die Brücke zeitweise durch Stacheldraht gesperrt.
Nach der erfolgten Renovierung und der Wiedereröffnung im Jahre 2000 nahm das Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein die Kirchsteigbrücke am 18.6.2019 in die Liste der Kulturdenkmale des Landes Schleswig-Holstein auf.
Quellen:
KA 456
Bau und Reparatur der Holzbrücke oder Kirchsteges über die Stecknitz bei Groß Berkenthin
KA 506
Unterhaltung der Fußgängerbrücke über die Stecknitz bei Berkenthin
Wer kommt für die Reparatur der Brücke auf?
Die Verantwortlichkeit und die damit verbundene Unterhaltung der Brücke hatte in den vergangenen Zeiten zwischen der Hansestadt Lübeck, dem Herzogtum Lauenburg und der Gemeinde mehrfach gewechselt. Als dann aber in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts deutlich wurde, dass ein beträchtlicher finanzieller Aufwand für die Renovierung und Instandhaltung der in die Jahre gekommenen Brücke notwendig würde, ließ der Kreis als der derzeitige Eigner die Brücke kurzerhand am 2. Mai 1995 sperren. Man berief sich auf Seiten der Kreisbehörden auf entsprechende Gutachten, die die Baufälligkeit belegen sollten und stellte sogar den endgültigen Abriss des Baudenkmals in Aussicht. Dies stieß allerdings auf den heftigen Protest der Gemeinde und es entbrannte ein jahrelanger Streit um die Trägerschaft. Die Zukunft der Brücke schien ungewiss.
Ein Brückenfest zur Erhaltung des Berkenthiner Wahrzeichens im August 1996 hatte zur folge, dass die Kirchsteigbrücke wieder beschränkt geöffnet wurde. Sichtbarer Ausdruck des Widerstandes gegen den Abriss ist noch heute das sogenannte „Brückendenkmal“ unterhalb des Amtes direkt am Kanal, eine mit Ziegelsteinen gemauerte Wand auf denen unterschiedliche Motive eingeritzt sind. Sie wurde im Rahmen einer im Rahmen einer weiteren Solidaritätsaktion 1999 von dem Maler und Bildhauer Rolf Hackauf aus Göldenitz und rund 100 Kindern und Erwachsenen errichtet. Zunächst wurden die noch weichen Ziegelsteinen von den Beteiligten mit Motiven mit Bezug zur Brücke gestaltet, bevor sie gebrannt und schließlich zu einer Mauer zusammengefügt wurden.
Weiter Bewegung in die Sache brachte dann die Diplomarbeit der jungen Lübecker Ingeneurin Tanja Heuer. Sie hatte das Bauwerk ausgiebig an Ort und Stelle begutachtet und war anders als das Kreisgutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass die Brücke durchaus zu retten sei. Symbolisch für die ihre Dauerhaftigkeit sei die heute nicht mehr verwandte Nietenbauweise. Von einem Abriss könne keine Rede sein. Sie ließe sich sanieren und werde auch weitere Jahrzehnte Fußgänger und Radfahrer standfest tragen. Erst als sich auch weitere Fachleute von der Fachhochschule Lübeck dieser Expertise anschlossen, ging der Kreis von den Abrissplänen ab und entschied sich schließlich für eine Sanierung und stellte schließlich sogar 800.000 DM für die Renovierung bereit. Offen blieb jedoch noch längere Zeit die Frage der zukünftigen Trägerschaft.
Die Lösung
Schließlich einigten sich dann aber der Kreis und die Gemeindevertretung Berkenthin dahingehend, dass der Kreis zwar die Kosten einer grundlegenden Sanierung übernehmen sollte. Für weitere Unterhaltungs-, Reparatur- und Sanierungskosten wurde dann laut Vertrag vom 13.04.2005 eine gemeinsam Rücklage von Kreis und Gemeinde geschaffen, in die beide Parteien jährlich einzuzahlen haben. Über die Rücklagen hinausgehende Kosten sollten zukünftig von beiden Parteien zu gleichen Teilen getragen werden.
Mit Blick auf die erfolgte gründliche Grundsanierung konnte man immerhin hoffen, dass in naher Zukunft keine neuen Folgekosten entstehen würden, allerdings wurde schon damals befürchtet, dass ein möglicher Kanalausbau hinsichtlich der Fußgängerbrücke neue Fragen aufwerfen würde.
Als dann die Brücke mithilfe des Krans eines Berliner Spezialunternehmens am Morgen des 22. Juli 1999 aus dem Sockel gehoben wurde, hatte sich eine große Zahl von Schaulustigen am Kanal eingefunden. Die ganze Brücke wurde in einem einzigartigen Schauspiel über den Kanal geschwenkt und schließlich längsseits des Kanals auf vorbereiteten Planken abgesetzt. Dort wurde sie dann in den folgenden Wochen von Handwerkern gründlich überholt, bevor sie dann pünktlich zum Kanaljubiläum im Jahre 2000 wieder in ihre alte Position gebracht wurde, wo sie ihre verbindende Funktion wieder übernehmen konnte.