Die Schleswig-Holsteinische Erhebung
Ausgelöst durch die europäische und deutsche revolutionäre Bewegung und die schleswig-holsteinische Erhebung erreichte die Welle freiheitlicher und nationaler Erregung auch das Herzogtum Lauenburg. Im Januar 1848 war Christian VIII., König von Dänemark und Herzog von Schleswig, Holstein und Lauenburg, gestorben. Unter dem Einfluss einer eiderdänischen Regierung hatte der neue Herrscher, Friedrich VII., die Einverleibung Schleswigs in Dänemark verkündet. Hierdurch war der Grundsatz der Unteilbarkeit Schleswig-Holsteins verletzt. Man berief sich dabei auf den Vertrag von Ripen von 1460, wonach die Herzogtümer Schleswig und Holstein „up ewig ungedeelt“ (auf ewig ungeteilt) bleiben sollten, und dazu auf die ebenfalls seit Jahrhunderten währende staatsrechtliche Trennung von Königreich und Herzogtum. Dagegen bildete sich in Kiel eine provisorische Regierung. Der folgende verlustreiche Krieg der Schleswig-Holsteiner gegen Dänemark von 1848 bis 1851, endete mit einer Niederlage.
Im Londoner Protokoll vom 8. Mai 1852 wurde der Fortbestand der dänischen Herrschaft über die Herzogtümer garantiert, jedoch deren Eigenständigkeit ebenso festgeschrieben. Die lauenburgische Ritter-und Landschaft hatte zunächst neutral agiert und sich nicht an der Erhebung beteiligt. Als dann 1855 die dänische Regierung mit einer neuen Gesamtstaatsverfassung versuchte, die Beziehungen innerhalb des Königreiches stärker zu straffen, sorgte dies sowohl in den Herzogtümern Schleswig und Holstein als auch im Herzogtum Lauenburg für neuen Unmut. Die neue Verfassung wurde danach auf Einspruch der Deutschen verworfen; aber schon 1863 erließ die dänische Regierung die sogenannte Novemberverfassung, die zum Ziel hatte, Schleswig entgegen der Absicht des Londoner Protokolls verfassungsrechtlich stärker an das Königreich zu binden. Um eine Zurücknahme der Novemberverfassung zu erwirken, besetzten im Dezember 1863 Truppen des Deutschen Bundes im Rahmen der Bundesexekution die Bundesstaaten Holstein und Lauenburg. Unter Protest des Deutschen Bundes überschritten am 1. Februar 1864 preußische und österreichische Truppen auch die Eider, den Grenzfluss zu Schleswig, und markierten so den Beginn des Deutsch-Dänischen Krieges. Der Krieg endete nach der Erstürmung der Düppeler Schanzen mit der Niederlage Dänemarks.
Im Wiener Frieden übertrug der dänische König die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg an die beiden deutschen Großmächte Preußen und Österreich. Sie regierten die Herzogtümer bis zum Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 gemeinsam. Streitigkeiten bezüglich der Verwaltung der Herzogtümer nutzte der preußische Ministerpräsident zu einem Krieg gegen Österreich um die Vorherrschaft im Deutschen Bund zu sichern.
Lauenburg kommt unter die Preußen
Nach Österreichs Niederlage trat dieses im Vertrag von Gastein seinen Anteil am Herzogtum Lauenburg direkt an Preußen ab. Es ließ sich dafür aber mit 2,5, Millionen dänischer Taler abfinden, die vom Herzogtum Lauenburg selbst aufzubringen waren. Schon zuvor hatte die lauenburgische Ritter- und Landschaft für den Anschluss an Preußen gestimmt. Allerdings nicht ganz freilich: Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck hatte die Lauenburger vor die Alternative gestellt: Entweder erklärten sie den „Wunsch“, sich Preußen anzuschließen, oder das Land werde als Kriegskostenentschädigung an Preußen fallen. Im ersten Falle werde die lauenburgische Verfassung und die Besonderheiten des Landes soweit wie möglich respektiert, im zweiten Falle werde das Land nicht nur die Schuldenlast aus früherer Zeit zu tragen haben, sondern es müsse auch noch mit einer zusätzlichen Kriegssteuer rechnen. So wurde das Herzogtum Lauenburg zunächst in Personalunion mit Preußen verbunden, und nicht wie Schleswig und Holstein nach dem preußisch-österreichischen Krieg einfach als Provinz annektiert. Die Erbhuldigung, den Untertaneneid der Ritter- und Landschaft nahm der neue Landesherr König Wilhelm I. von Preußen am 26.Sptember 1865 in der St. Petri-Kirche zu Ratzeburg in feierlicher Zeremonie entgegen.
Er wurde als „Herzog von Lauenburg“ neuer Landesherr und der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck übernahm das Amt des „Ministers für Lauenburg“ in dem neu eingerichteten Ministerium für das Herzogtum in Berlin. Jedoch verfolgte Otto von Bismarck schon zu dieser Zeit das Ziel, die Personalunion in eine Realunion umzuwandeln und das kleine „Ländchen“, wie er zu sagen pflegte, völlig mit Preußen zu vereinigen.
„Lauenburg ist in vielen Zügen … heute noch ein Miniaturbild des Mittelalters“
Bismarks Einschätzung über die politischen Zustände Lauenburgs war nicht gerade schmeichelhaft: „Lauenburg ist in vielen Zügen und ganz besonders im Finanzwesen heute noch ein Miniaturbild des Mittelalters … und die Verhältnisse so verschieden von dem Organismus des modernen Staates, so fremd die Vorstellungen, in denen wir uns bewegen, so dass wir uns nicht auf dem Boden befinden, auf dem heutige Staaten stehen.“ Dabei gelang es ihm, durch vorsichtiges Agieren und Rücksichtnahme auf die Besonderheiten Lauenburgs die Zeit für einen solchen Schritt reifen zu lassen. Da die neuen finanziellen Belastungen und sonstigen Verpflichtungen von dem kleinen, als rückständig geltenden Land zukünftig kaum zu tragen würden, fiel dieser Gedanke auch innerhalb des Herzogtums bei der Ritter- und Landschaft auf fruchtbaren Boden. Die Eingliederung in eine preußische Provinz schien der einzig vernünftige Weg, bemerkenswert scheint nur die skeptische Sicht auf das benachbarte Schleswig-Holstein. So hieß es in einer Schrift der Ständischen Invorperations-Commission, die Vorschläge für den Anschluss vorbereiten sollte:“ Das Herzogtum Lauenburg kann seiner Lage nach nur mit Hannover oder Schleswig-Holstein vereinigt werden. Für den Anschluss an erstere Provinz sprechen mancherlei in Lauenburg lebende Erinnerungen an die im Allgemeinen glückliche Zeit seiner Verbindung mit dem Kurfürstentum Hannover, während nur wenig Sympathien mit Schleswig-Holstein im Lande vorhanden sind.“ Trotz dieser Vorbehalte wurde das Herzogtum schließlich am 1. Juli 1876 als „Landkreis Herzogtum Lauenburg“ mit Sonderrechten in die preußische Provinz Schleswig-Holstein eingegliedert.
Bismarck erhielt für seine Verdienste um die Eingliederung vom preußischen König die Domänen im Amt Schwarzenbek mit dem Sachsenwald als Dotation zum Eigentum übereignet. Ab 1876 wurde er Mitglied des Lauenburgischen Kreistages und das Domizil in Friedrichsruh wurde Bismarcks Ruhesitz nach seiner Demission im März 1890. Anlässlich seines Abschiedes verlieh ihm Wilhelm II. die „Würde eines Herzogs von Lauenburg“. Bismarck hätte diesen Titel wohl gerne abgelehnt, doch ließ ihm eine vorzeitige Veröffentlichung keine Möglichkeit mehr dazu. Er hat diesen Titel aber nie geführt.
Lotti Schreiter erinnert sich: Mein Großvater und Otto von Bismarck
Wie wir gesehen haben, erhielt der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck für seine Verdienste um die Eingliederung des Herzogtums in die preußische Provinz Schleswig-Holstein vom preußischen König die Domänen im Amt Schwarzenbek mit dem Sachsenwald als Dotation zum Eigentum übereignet. Ab 1776 wurde er Mitglied des Lauenburgischen Kreistages und das Domizil in Friedrichsruh wurde Bismarcks Ruhesitz nach seiner Demission im März 1890. Anlässlich seines Abschiedes verlieh ihm Wilhelm II. die „Würde eines Herzogs von Lauenburg“. Die vielen noch bekannte Berkenthinerin Lotti Schreiter wusste noch davon zu erzählen, dass jener Otto von Bismarck wiederholt bei ihrem Großvater Karl Burkhardt in Berkenthin zu Gast war.
Karl Burkhardt hatte 1880 ein Haus in der Meisterstraße (heute 20/22) gebaut, in dem auch Lottis Vaters und auch sie selbst fast ein Leben lang gewohnt hatten.
Allerdings war es dann im Laufe der Jahre immer wieder umgebaut worden. Burkhardt stammte aus Schlesien und war als Landvermesser (Geometer) tätig. Als solcher arbeitete er für den preußischen Staat und vermaß viele Landstriche u.a. in Schleswig-Holstein, Berlin und den Sachsenwald. Fürst Bismarck als ehemaliger oberster Dienstherr kam daher einmal im Jahr zu Besuch nach Berkenthin, was er stets vorher ankündigte. Die Großmutter backte dann Kuchen und bot Kaffee an. Fürst Bismarck fuhr mit seiner ,,Landauer Kutsche“ in der Meisterstraße vor und der Kutscher kam in der Zeit des Besuches in die Küche.
Die Kutsche, so erinnerte sich Lotti Schreiter, konnte je nach Bedarf mit Dach oder ohne Dach verwendet werden. Die Bediensteten standen hinten auf der Kutsche, wo sie sich gut festhalten mussten. Bismarck und der Großvater schauten sich dann gemeinsam die Karten an, die Karl Burkhardt erstellt hatte. In dem Zusammenhang wusste sie aus der Familienüberlieferung zu erzählen, dass auch einer ihrer Onkel als Kind zugegen war. Otto von Bismarck sagte dann einmal zu ihm: ,,Was will ER denn hier?“ Zu der Zeit wurde man noch häufig in der 3. Form angeredet. Der kleine Junge sei dann wegen der Anrede sehr irritiert gewesen und sei vor Schreck schnell weggelaufen.
Unabhängig von seiner beruflichen Tätigkeit sei dieser Karl Burkhardt ein angesehener und kluger Mann gewesen, dem Berkenthin viel zu verdanken habe. So war er sehr an der Fortentwicklung der Landwirtschaft interessiert. Er gab er den Bauern Hilfestellung, indem er ihnen half, die Meierei als Genossenschaft zu gründen, um bessere Bedingungen für die Milchvermarktung zu schaffen. Er übernahm sogar vorerst die Verwaltung, bis der Meierist Peter Lipp gefunden wurde. Während seiner Zeit wurden die Bauern aufgefordert, immer wieder Proben von ihrer Milch abgeben, wer die sauberste Milchprobe ablieferte, bekam später für die Milch mehr Geld. Die Bauern nahmen das sehr ernst und lieferten in regelmäßigen Abständen ihre Proben ab, so dass es an den folgenden Tagen im Hause Burkhardt nur Milchsuppe mit gekrümeltem Brot gab. Auch beriet er die Landwirte bei der Auswahl des Saatgetreides. Den geringen Erträgen versuchte er durch die Einführung neuer Saatsorten entgegenzuwirken. Er schlug vor, anderes Saatengut zu verwenden, aber die Bauern wussten nicht, wo sie es beziehen sollten. So verhandelte er mit dem Saatzuchtunternehmen Spreckelsen in Hamburg und die neue Saat wurde über Schiffe und Bahn nach Berkenthin gebracht. Die Bauern konnten nun eine reichere Ernte mit besseren Erträgen verbuchen.
Auch über die Verhältnisse unserer Dörfer zur Zeit der preußischen Übernahme liefert die das Statistisches Hand- und allgemeine Adreßbuch für das Herzogtum Lauenburg von Ha. Linsen einen eindrucksvollen Überblick.
Groß Berkenthin hatte 1867 267 Einwohner, die sich auf 54 Familien und 41 Häuser verteilten. Davon waren Landbesitzer: 9 Dreiviertelhufner, 2 Halbhufner, 2 Viertelhufner, 2 Großkätner, 6 Kleinkätner und 3 Anbauern. An Viehbestand führt die Statistik auf: 67 Pferde, 192 Stück Rindvieh, 234 Schafe, 84 Schwein und 22 Bienenstöcke. Die Bauern mussten seit der Verkoppelung für die früher geleisteten Hofdienste überwiegend erhöhtes Dienstgeld bezahlen, daneben hatten sie aber auch noch einige sogenannte Burgfestdienste zu leisten. Auch die ehemaligen Naturalabgaben waren inzwischen weitestgehend in Geld zu entrichten. Insgesamt musste die Dorfschaft 486 T. (Taler), 25 Sgr. (Silbergroschen), 2 Pf. (Pfennige) an das Amt an sogenanntem Meiergeld entrichten. Aber auch andere Verpflichtungen des Dorfes gegenüber der Herrschaft waren inzwischen zu Geld gemacht worden. So war das Dorf seit alters her verpflichtet gewesen, Bier aus den herrschaftlichen Brauereien zu beziehen. Dieser „Bierzwang“ war inzwischen aufgehoben worden, aber das Amt ließ sich dieses mit einer „Recognition“ von 9T. 10 Sgr. Jährlich vergelten. Der Halbhufner Rönnpage zahlte darüber hinaus zu dieser Zeit sogar immer noch Abtrag und Zinsen in Höhe von 1 T. 23 Sgr. 11 Pf. für das Kapital, das seiner Stelle vor fast 100 Jahren wegen der Verkoppelung vorgeschossen worden war. Zu dieser Zeit war sogar noch die Fischerei im Kolksee, einem heute versumpften kleinen Gewässer im Bartelsbusch, das der Ratzeburger Herrschaft gehörte, für 12 Sgr. Und 6 Pf. verpachtet.
Das Patronat über die Kirche lag nach wie vor beim Landesherrn. Das Kirchenland (53 ¾ Scheffel) war in Erbzins verpachtet. Der Kirche gehörte außerdem noch die sogenannte Kirchkate bei der Drögenmühle im adeligen Gut Rondeshagen, welches aber zum Dorf Groß Berkenthin gerechnet wurde. Die Pfarre, also das Land, das dem Unterhalt des Pastors diente, umfasste 194 Scheffel und 44 Quadratruten. Für die bei der Verkoppelung an den Landesherrn abgetreten Pfarrholzungen stand dem Pastor ein jährliches Deputat von 12 Faden Buchenholz und eine Geldzahlung von 9 T. 28 Sgr. 9 Pf. aus der Amtskasse zu. Der Pfarrerwitwe standen 10, dem Küster und Lehrer 76 Scheffel Land für den eigenen Unterhalt zur Verfügung. Zur Kirchengemeinde gehörten damals Groß- und Klein-Berkenthin, Klempau, die Drögenmühle, Fliegenberg, Göldenitz, Göldenitzer Wehden, Kählstorf, Niendorf, Rondeshagen, Rondeshagener Wehden und die damals noch lübschen Dörfer Düchelsdorf und Sierksrade mit insgesamt 1.950 Einwohner. In der Einklassigen Grundschule wurden 86 Kinder aus Groß- und Klein Berkenthin, dem adeligen Gut Klein Berkenthin und Kählstorf unterrichtet.
Die „Topographie des Herzogtums Holsteins“ von Henning Olderop aus dem Jahre 1908 liefert dann für die Zeit 50 Jahre später noch ein genaueres Bild von den damaligen Bewohnern des Ortes. Demnach gab es kurz nach der letzten Jahrhundertwende in Groß Berkenthin immerhin schon einen Arzt, eine Meierei, drei Wirtshäuser, zwei Handwerker und folgende Bauernstellen: Ww. Clasen 32 ha, Carl Hack 32 ha, F. Hack 32 ha, J. Hack, 33 ha, W. Dohrendorf 31 ha, F. Nehls 38 ha, J. Sedemund 35 ha, Aug. Dohrendorf 36 ha, Soltau 35 ha. Außerdem gab es 11 Kätner, 8 Anbauer und 9 sogenannte Parzellenbesitzer.
Klein Berkenthin umfasste zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch das Lehngut Klein Berkenthin, auch adeliger Anteil oder adeliges Gericht genannt, und das Dorf Klein Berkenthin, dem königlichen Anteil.
Der adelige Anteil: Unter den einst 22 adeligen Gerichten des Herzogtums Lauenburg war das Lehngut Klein Berkenthin das kleinste. Es befand sich Ende des 19. Jahrhunderts im Besitz des Rittmeisters a.D. Detlev von Bülow aus dem Hause Gudow, der es 1866 der Familie von der Decken aus Hannover abgekauft hatte. 1867 bestand es aus vier Vollhufen, einer Halbhufe, zwei Brinksitzern, einem Anbauer und einem Neuanbauer sowie einer Windmühle mit zusammen 103 Einwohnern. Ein herrschaftlicher Hof war nicht vorhanden; der Gutsherrschaft gehörten auf Berkenthiner Gebiet lediglich sechzig Morgen Wald. An Viehbestand wies die Statistik für das Jahr 1862 20 Pferde, 59 Stück Rindvieh, 52 Schafe, 40 Schweine und 4 Bienenstöcke nach. Erwähnt wurde auch, dass der Bauervogt eine Brandweinbrennerei betrieb, die aber direkt dem Steueramt Ratzeburg und nicht dem Gut unterstand. Die Feldmarkt war 1779 gemeinsam mit der des Dorfes Klein Berkenthin „reguliert“, also verkoppelt worden, wobei es keine klaren Trennlinien zwischen beiden Teilen gab.
Der andere Teil Klein Berkenthins, der königliche Anteil, unterstand dem Amt Ratzeburg. Die Gemarkung umfasste 394 Morgen und 14 Quadratruten. Zu dem Dorf gehören 1861 an Landsitzern: fünf Halbhufner , ein Kätner, zwei Anbauer mit gerade mal 92 Einwohner. Auch hier hatten die Bauern anstatt der Hofdienste ein erhöhtes Dienstgeld zu zahlen. Zum Dorf gehörte auch die Berkenthiner Schleuse mit einem Schleusenwärter, der jedes Jahr für die Einnahmen aus seiner Schleusentätigkeit 6 Reichstaler an das königliche Amt zu entrichten hatte.
Die „Topographie des Herzogtums Holsteins“ liefert für das Jahr 1906 wiederum einen genaueren, wenn auch einen veränderten Überblick über die Bewohner des nun schon vereinten Dorfes Klein Berkenthin. Demnach gab es zu dieser Zeit folgende Bauernstellen: J. Meyer 46 ha, J. Dohrendorf 34 ha, Otto Meyer 29 ha, außerdem 18 Halbhufner von 1 bis 25 ha und 31 sonstige Häusler. Außerdem gab es nun drei Wirtshäuser, zwei Handlungen, zehn Gewebetreibende und eine Kistenfabrik.
Das Kählstorfer Areal umfasste 1867 688 Morgen und 31 Quadratruten. Der Ort hatte 86 Einwohner, die sich auf 20 Familien und 16 Häuser verteilten. Davon waren 4 Vollhufner, 1 Halbhufner, 3 Kätner und 1 Anbauer. Auch hier waren die Hofdienste, die die Kählstorfer früher auf dem Vorwerk Klempau zu leisten hatten, inzwischen zu Geld gesetzt. Die Dorfschaft hatte dafür insgesamt jährlich 196 T. 4 Sgr. Und 6 Pf. an das Amt zu zahlen. Es gab aber auch noch einige wenige Spanntage, die im Jahr zu leisten waren. Der Kählstorfer Bauervogt musste als einziger Bauervogt im Amt Ratzeburg für sein Schankrecht ein Kruggeld zahlen, während der Bierzwang auch hier aufgehoben war. Dafür zahlte die Ortschaft jährlich 3 T. 17 Sgr. und 6 Pf. an „Recognition“. Der Viehbestand des kleinen Ortes belief sich auf 25 Pferde, 68 Rinder, 59 Schafe, 13 Schweine und 44 Bienenstöcke. Die „Topographie des Herzogtums Holsteins“ liefert für das Jahr 1906 auch für Kählstorf wiederum genauere, wenn auch hier wieder entsprechend veränderte Angaben: Größter Hof war demnach der Hof Bartels mit 40 ha, es folgten der Hof Fritz Sedemund mit 35 ha, Hans Sedemund mit 34 ha und der Hof Wulf mit 33 ha. Daneben führt die Übersicht 4 kleinere Stellen und ein Wirtshaus auf.
Beim „Dänen“ gings gemütlich zu
Wie die Berkenthiner die Übernahme erlebt haben, lässt sich heute kaum ermessen. Wahrscheinlich ließen sie den Herrscherwechsel eher gleichgültig über sich ergehen wie all die anderen in den Jahrhunderten zuvor. Im Nachhinein lässt sich nur sagen, dass mit der Übernahme durch die Preußen auch für Berkenthin die größten Veränderungen seit Jahrhunderten verbunden waren. Mit preußischer Gründlichkeit wurde die Verwaltung modernisiert. Mit anfänglichem Widerwillen wird wie überall die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1866 aufgenommen worden sein, von der alle jungen Männer der Jahrgänge 1842 aufwärts betroffen waren. (Vgl. U. V. RUNDSTEDT: Die Garnisontruppen des Herzogtums Lauenburg, in: Lauenburgische Heimat Alte Folge 1930) Während es in der hannoverschen Zeit bis 1792 überhaupt keine Rekrutierung gegeben hatte, ging es „beim Dänen“ vielen Schilderungen zufolge recht idyllisch zu, ganz anders als in der durch Drill und Disziplin geprägten preußischen Armee.
Dabei hatte es zwar auch in der Dänenzeit eine kleine symbolische Kavallerieabteilung in Ratzeburg gegeben, aber die dänische Armee ergänzte sich aus einer durch weitgehende Befreiungen eingeschränkten Wehrpflicht.
Dumm gelaufen…
In einem zeitgenössischen Bericht beschreibt der oben genannte Autor an einem Beispiel die beschaulichen Zustände in der dänischen Armee: Ein junger Soldat aus dem Lauenburgischen hatte als Posten vor der leeren Bataillonskasse Wache in Ratzeburg zu schieben. Da er offensichtlich keine Lust mehr hatte, warb er einen alten Bekannten, einen Dienstmann, als Vertreter und steckte diesen in seine Uniform. Der Schwindel flog aber bei der Ronde (Kontrollgang) auf, da der Vertreter nicht präsentieren konnte. Der Schuldige wurde dafür nur einige Zeit im Kartoffelkeller des Majors eingesperrt.
Die Städte Ratzeburg, Mölln und Lauenburg waren lange Zeit ganz befreit von Aushebungen, während erst ab 1848 grundsätzlich alle jungen Männer ab 20 Jahren dienen sollten. Aber immer noch gab es die Möglichkeit, sich einfach vom Wehrdienst freizukaufen. Viele „verreisten“ auch einfach ins Ausland, zum Beispiel in das nahegelegene Holstein oder Mecklenburg, wenn die Aushebungen bevorstanden. Sie waren, wie die Listen ausweisen, schlichtweg „nicht da“ und somit nicht greifbar. Ohnehin hatte die dänische Armee nur die zum Dienst unentbehrliche Zahl bei der Fahne, der Rest wurde nach Ausbildung „beurlaubt“, und wieder nach Hause geschickt, wo sich die Männer aber weitere 6 Jahre zur Verfügung halten mussten.
Beim „Preußen“ wehte ein anderer Wind
Anders „unter den Preußen“: Hier hatten alle Männer vom vollendeten 17. Lebensjahr an einen dreijährigen aktiven Dienst zu absolvieren und hatten sich danach als Reserve oder im Landsturm zur Verfügung zu halten. Ratzeburg wurde noch im selben Jahr zur Garnisonsstadt und das „Lauenburgische Jäger-Bataillon Nr. 9“ bestimmte fortan mit ihren Paraden und Manövern das Bild der Stadt und der umliegenden Region. Die anfänglich Ablehnung wich aber auch in Berkenthin bald einer Begeisterung für alles Militärische und schon wenige Jahre später 1870 zogen auch junge Männer aus Berkenthin zusammen mit ihren Altersgenossen aus ganz Deutschland in den Krieg gegen den „alten „Erbfeind“ Frankreich. Aus dem Kirchspiel kehrten zwei junge Männer nicht wieder nach Hause zurück, nämlich Heinrich Plat aus Niendorf, gestorben am 18. Aug. 1870 und Johann Storm aus Rondeshagen, gestorben am 21. Okt. 1870. Die Verlustlisten der preußischen Armee weisen aber noch keine Berkenthiner Namen auf, so dass alle zumindest lebend wieder nach Hause zurückgekehrt sein dürften. Wie überall beförderte der Militärdienst und die aufkommende patriotische Stimmung, vor allem nach dem gewonnenen Krieg, das schnelle Hineinwachsen in den preußischen Staat und schließlich in das 1871 entstandene Deutsche Kaiserreich erheblich.
Fuß, Elle, Klafter, Faden – eine Vielfalt von Maßen und Gewichten
Mit preußischer Gründlichkeit überzogen die neuen Machthaber das Land mit einheitlichen Maßen und Gewichten und einer neuen Währung, was einen immensen Einfluss auf die nun einsetzende wirtschaftliche Entwicklung hatte. Im Herzogtum gab es bis dahin eine für heutige Begriffe verwirrende Vielfalt von Maßen und Gewichten, die sich noch dazu häufig genug von den entsprechenden Maßen und Gewichteten in den benachbarten Regionen unterschieden. Der im Lauenburgischen gebräuchliche Calenberger Fuß (=293 mm) als Grund-Längenmaß unterschied sich deutlich von einem Lübecker Fuß bzw. dem Holsteinischen Fuß. 16 Fuß entsprachen einer Rute (= 4689 mm). Daneben waren aber auch noch Ellen, Klafter und Faden gebräuchlich. Das übliche Landmaß war seit der hannoverschen Zeit der Calenberger Morgen ( = 2638 qm = 0, 2648 ha), der wiederum 120 Quadratruten (21, 8425 m²) umfasste. Daneben waren aber auch der Scheffel (Roggen Aussaat) gebräuchlich, also die Fläche, die mit einem Scheffel Getreide eingesät werden konnte, nämlich etwa 2/3 Morgen. Dabei ergaben sich aber deutliche Unterschiede zu den Scheffelmaßen in anderen Regionen, da einerseits das Volumenmaß unterschiedlich war und zum anderen die Böden unterschiedlich ertragreich. 1868 wurde dann mit der Einführung des Meters, des Hektars, des Gramms und des Liters auch Maße und Gewichte vereinheitlicht. Damit wurde das bereits seit 1800 in Frankreich gebräuchlichen metrischen Systems beschlossen und eingeführt worden.
Die Reichsmark erleichtert den Handel
Ähnlich herrschte auch bei dem Geld eine Vielfalt an Zahlungsmitteln. Seit ältesten Zeiten kursierten im Lauenburgischen eine Reihe unterschiedlicher „ausländischer“ Zahlungsmittel, nämlich vor allem die lübsche, hamburgische, holsteinische und schließlich dänische Courantmünze, bei denen der aufgedruckte Wert dem tatsächlichen Metallwert (Silber) entsprach. Lauenburgische Münzen waren hingegen äußerst selten. Da der alte lauenburgische Münzfuß, der als Grundlage für die eigenen Prägungen gegolten hatte, dem hamburgischen und lübschen Münzfuß gleich war, waren nebeneinander hamburgische und lübschen Schillingen und Pfennige und seit der Dänenzeit auch dänischen 2-Schillinge und Pfennige im Umlauf. Die grundlegende Bemessungsgrundlage im ganzen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation war dabei lange Zeit der im 16. Jahrhundert geschaffene Reichst(h)aller gewesen , eine „Grob“ Kurantmünze im Werte von 24 (Silber-) Groschen oder 32 lübischen Schillingen. Später, als viele Münzstände den vorgeschriebenen Münzfuß nicht mehr so genau einhielten, erschien seitens der Landesbehörden eine große Zahl von Verordnungen über den jeweiligen tatsächlichen Wert der verschiedenen Geldsorten, was eine Umrechnung immer komplizierter machte. Der Reichstaler selbst entwickelte sich wegen seines großen Gewichts später immer mehr zur theoretischen Rechnungsmünze. In der preußischen Zeit wurde dann der Umrechnungskurs zunächst so festgesetzt, dass 8 Schillinge 5 preußischen Silbergroschen und 8 Pfennige 5 preußischen Pfennigen entsprachen. Aber erst nach der Reichsgründung 1871 wurde mit der (Gold-)Mark, die einzig gültige Währung im gesamten Kaiserreich eingeführt. Damit wurde auch beim Geld das Zwölfer- beziehungsweise 16er-System durch das dezimale abgelöst und die Silberwährungen auf eine einheitlich Goldwährung umgestellt, die bis zum Ersten Weltkrieg Bestand hatte. Auch für die Berkenthiner war diese Vereinheitlichung Vereinfachung eine wichtige Voraussetzung für die nun folgenden Jahrzehnte der wirtschaftlichen Entwicklung, die für viele zu einem bescheidenen Wohlstandes führte.
Die Bauern werden Eigentümer ihrer Scholle
Die für die Bauern wohl wichtigste Änderung brachte das „Gesetz zur Umwandlung der Meier-, Erbzins- und Erbpachtverhältnisse in Eigentum“ und die Ablösung der damit verbundenen Berechtigungen aus dem Jahre 1875. Mit diesem Gesetz wurden die alten Abhängigkeitsverhältnisse der Bauern von der Landesherrschaft bzw. von der Gutsherrschaft für die Klein Berkenthiner beendet und die seit Jahrhunderten geltenden Abgaben und Dienste abgeschafft. Die Bauern wurden erstmals nach nahezu 650 Jahren zu Eigentümern ihres Landes.
Die Bauern mussten sich freikaufen
Allerdings war vorgesehen, dass sich die Bauern von ihren Verpflichtungen gegenüber der Gutsherrschaft bzw. dem Landesherrn freikauften. Vorausgegangen waren langwierige Verhandlungen über die Höhe der Ablösesumme zwischen Regierung und den Vertretern der lauenburgischen Ritter- und Landschaft. Auf der einen Seite wünschten die Bauern, endlich selbstständig über die Wirtschaft verfügen zu können, auf der anderen Seite fürchteten die Gutsbesitzer um einen Großteil ihrer Einnahmen und vom „Gutsbesitzer zum Bauern“ degradiert zu werden. Eine Einigung war dann aber erst nach Vermittlung Bismarcks zustande gekommen. Die Lösung sah vor, dass die Bauern sich mit dem 22,5 fachen Betrag ihrer jährlichen Verpflichtungen freikaufen konnten, wobei für Spann-(Burgfest-)Dienste pro Tag 2 Reichstaler, für jeden Handtag 5 Silbegroschen veranschlagt werden sollten. Dieser Betrag konnte von den Bauern in bar entrichtet werden oder über eine neu zu gründende Rentenbank vorfinanziert werden. Während nun der „Berechtigte“, Landesherr bzw. Gutsherr den Betrag sofort ausgezahlt bekam, musste der verpflichtete Bauer das Geld nebst Verzinsung innerhalb von 56 Jahren amortisieren. Mit einer solchen Lösung war beiden Seiten geholfen: Den Grundherren, die nun die von ihnen geforderte Ablösesumme bekamen, als auch den Bauern, die fürchten mussten, den Betrag nicht sofort bezahlen zu können. Dennoch starteten damit viele mit einer gewaltigen Hypothek in die neu gewonnene Freiheit. Nachdem sich die Bauern auf diese Weise freigekauft hatten, konnte jetzt jeder seinen Hof ohne Genehmigung des Amtes verkaufen, teilen, verpachten und mit Hypotheken belasten. Manch einer machte von seiner neuen Freiheit so reichen Gebrauch, dass er rasch in Konkurs geriet. Immerhin stiegen nach 1872 die Preise für Bauernhöfe rapide an
Geburtsstunde der Gemeinde Klein Berkenthin 1875
Mit dem „Gesetz zur Umwandlung der Meier-, Erbzins- und Erbpachtverhältnisse in Eigentum“ endet auch zugleich die Abhängigkeit der Klein Berkenthiner Bauern von ihrem Grundherrn und dem Hause Rondeshagen. Mit diesem Gesetz wurden, wie bereits erklärt, die alten Abhängigkeitsverhältnisse der Bauern von der Landesherrschaft bzw. von der Gutsherrschaft für die Klein Berkenthiner beendet und die seit Jahrhunderten geltenden Abgaben und Dienste abgeschafft. Der ehemals Adlige Teil Klein Berkenthins wurde nun mit dem amtlichen Teil zusammengelegt. Damit unterstand Klein Berkenthin fortan in allen Verwaltungs- und Steuerbelangen der Landvogtei Ratzeburg, während für die Gerichtsbarkeit das Amtsgereicht Ratzeburg zuständig wurde. Dabei endete eine Jahrhunderte andauernde unterschiedliche Zugehörigkeit.
Bedeutsam war auch die Auflösung der alten Regierung und der alten Ämter, so auch des Amtes Ratzeburg. Während preußische Beamte nun die Aufgaben der Regierung übernahmen, sie unterstanden der Aufsicht des ersten preußischen Landrats Jungbluth (1873 bis 81) mit Sitz in St. Georgsberg, übernahmen zunächst die Landvogteien zum Teil die Aufgabe der Ämter.
Sie übten dabei zunächst nur polizeiliche Funktionen aus. Wichtiger war für die Berkenthiner, dass damit die Gerichtsbarkeit auf das neu eingerichtete Amtsgericht in Ratzeburg überging. Damit wurde zum ersten Mal als einem Merkmal moderner Staatlichkeit die Gerichtsbarkeit von der Verwaltung getrennt. In all den Jahrhunderten zuvor waren die Berkenthiner bei Vergehen oder Streitigkeiten vor das Ratzeburger Amt zitiert worden, wo über ihren Fall von den (Verwaltungs-)Beamten befunden wurde.
Bei geringeren Vergehen waren sie sogar vom Bauervogt vor Ort verurteilt worden. Zugleich endete damit auch Privatgerichtbarkeit der Gutsherren über die Untertanen des Gutsbezirkes Klein Berkenthin. Diese einschneidende Reform, die dem Anspruch nach gleiches Recht für alle, vom Gutsherren bis zum Tagelöhner, forderte, garantierte allen zum ersten Male eine Behandlung nach gängigen damaligen Rechtsnormen. Auf Anordnung des preußischen Ministers des Innern entstanden dann ab 1889 im Kreis Herzogtum Lauenburg 23 Amtsbezirke, welche die Landvogteien ablösten. Einer dieser Bezirke war Berkenthin mit den Gemeinden Groß Berkenthin, Klein Berkenthin, Göldenitz, Kählstorf, Krummesse, Klempau, Gutsbezirken Klempau und Klein Weeden vom Gutsezirk Kulpin mit dem Forsthaus Fliegenberg mit zusammen 1200 Einwohner. Dieser Amtsbezirk bestand bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges und wurde nach dem 8. Mai 1945 durch die englische Besatzungsmacht aufgehoben
Der Gemeindevorsteher löst den Bauervogt ab
Die Landgemeindeordnung von 1874 schuf mit den neu eingerichteten Gemeindebezirken eine neue unterste Selbstverwaltungseinheit. Damit wurde das alte erbliche Amt des Bauervogtes, das wie überall im Lauenburgischen seit alters her auch in Groß und Klein Berkenthin sowie in Kählstorf überwiegend an eine bestimmte Hufe gebunden gewesen war, abgeschafft. Der Bauervogt war über lange Zeiten der verlängerte Arm der Amtsverwaltung in Ratzeburg gewesen und auch von diesem besoldet worden, etwa über die Zuteilung des Schankrechtes oder aber auch über die Einnahme von Strafgeldern etc. In Groß Berkenthin war das Amt an die Hundtsche Stelle, dem heutigen Gasthof Hack, in Klein Berkenthin an die Meiersche Hufe, ehemals Meiers Gasthof und in Kählstorf an den Hof Sedemund, heute im Besitz der Familie Wegner, gebunden gewesen. An seine Stelle trat der von der Gemeinde gewählte Gemeindevorsteher, der die Beschlüsse der Gemeindevertretung auszuführen hatte, sofern es eine gab. Gemeindevertretungen konnten dann gebildet werden, wenn die Zahl der Stimmberechtigten größer als 25 war. In Klein Berkenthin wurde so bereits kurz nach der Jahrhundertwende 1902 eine solche Vertretung von 8 Gemeindevertretern eingerichtet, während sich die Groß Berkenthiner noch 1905 auf einer Versammlung gegen eine solche Einrichtung aussprachen. Und auch in Kählstorf kam man noch lange ohne Gemeindevertretung aus.
Bemerkenswertes Wahlrecht
Die ersten Gemeindevorsteher wurden aber 1876 in allen drei Orten noch direkt von allen stimmberechtigten Bürgern gewählt. Dazu zählten nur die Stellsitzer, d.h. nur die Eigentümer eines Hauses mit entsprechendem Grundbesitz. Grundsätzlich waren darüber hinaus nur die Männer über 24 Jahre wahlberechtigt, da man vom Wahlrecht der Frauen noch weit entfernt war. Zur Wahl wurde auf Anordnung der königlichen Landvogtei in Ratzeburg jeweils in das Haus des Bauervogtes geladen.
Nachdem protokollarisch festgehalten war, wer anwesend war und wer fehlte, informierte der Bauervogt über den Zweck der Versammlung. Danach wurde zur offenen Wahl geschritten. Bemerkenswert aus heutiger Sicht auch das Wahlverfahren, denn protokollarisch namentlich festgehalten wurde, wer für wen stimmte. Da zum Beispiel in Groß Berkenthin mit Johann Friedrich Nehls und Fritz Dorendorf 1882 gleich zwei Kandidaten gegeneinander angetreten waren und die Wahl relativ knapp ausging, lässt sich denken, dass dieses Verfahren in dem einen oder anderen Fall den örtlichen Frieden nicht unbedingt zuträglich war.
Der folgende Ausschnitt aus dem Wahlprotokoll dokumentiert das damalige Wahlverfahren:
Heins, ¾ Hufner | für | Fr. Dohendorf ¾ Hufner |
J. Hack, Kätner | für | Nehls, ¾ Hufner |
Fr. Hack | für | Nehls, ¾ Hufner |
Hormann, ½ Hufner | für | Fr. Dohendorf ¾ Hufner |
…… | für | …… |
Während bei den ersten Wahlen noch nach dem einfachen Mehrheitsverfahren gewählt worden war, musste nach 1881 gemäß den Statuten der neuen Landgemeindeordnung nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählt werden. Demnach hatten alle Bauern mit mehr als 35 ha Land 3 Stimmen, alle, die zwischen 15 und 30 ha Land bewirtschaften, 2 Stimmen, während alle anderen nur 1 Stimme hatten. Die Wahllisten für die Dörfer, die zugleich für die Wahlen zum preußischen Landtag galten, geben zugleich einen Einblick in die soziale Ordnung der Dörfer, wenn man dazu noch berücksichtigt, dass alle Nicht-Landbesitzer, Tagelöhner, Landarbeiter etc. in dieser Liste gar nicht auftauchten.
Das Kählstorfer Wählerverzeichnis von 1906 zeigte die Anzahl der Stimmen, über die die wenigen Wahlberechtigten verfügten:
Name | Stand | Stimmen |
Wulf | Gemvorst. | 3 |
Sedemund | Hufner | 3 |
Bartels | Hufner | 3 |
Sedemund | Hufner | 3 |
Siemers | Kätner | 1 |
Derlin | Kätner | 1 |
Prüßmann | Anbauer | 1 |
Koop | Anbauer | 1 |
Kemp | Anbauer | 1 |
In Klein Berkenthin führte das Wählerverzeichnis für das selbe Jahr folgende Stimmberechtige auf:
Name | Stand | Stimmen |
J. Dohrendorf | ¾ Hufner | 2 |
J. Goden | ½ Hufner | 2 |
J. Meier | Hufner | 3 |
J. Wulf | ½ Hufner | 2 |
H. Kahns | ½ Hufner | 2 |
J. Klöhrs | Schleusen- meist | 1 |
J. Schmahljohann | Anauer | 1 |
G. Vollert | Müller | 2 |
J Hamester | ¾ Hufner | 2 |
H. Wulf | Brinkssitzer | 1 |
E. Pruhlt | Anbauer | 1 |
K. Hagen | Kätner | 1 |
J. Balhorn | Anbauer | 1 |
J. Koop | Anbauer | 1 |
W. Baumann | Anbauer | 1 |
J. Benthin | Anbauer | 1 |
F. Hack | Anbauer | 1 |
J. Dahmke | Anbauer | 1 |
J. Puhl | Anbauer | 1 |
J. Thorn | Anbauer | 1 |
K. Burkhardt | Anbauer | 1 |
C. Groth | Anbauer | 1 |
J. Wittern | Anbauer | 1 |
W. Sedemund | Anbauer | 1 |
H. Groth | Anbauer | 1 |
K. Liske | Bau-techniker | 1 |
F. Hartung | Buchhalter | 1 |
Die ersten gewählten Gemeindevorsteher nach 600 Jahren
Groß Berkenthin: Johann Friedrich Nehls
Erster Gemeindevorsteher von Groß Berkenthin wurde 1876 der Dreiviertelhufner Johann Friedrich Nehls, der 1866 als Bauervogt noch vom Amt in Ratzeburg eingesetzt worden war. In einem zweiten Durchgang wurde nach gleichem Verfahren der Halbhufner Rönnpage zu seinem Stellvertreter gewählt. Das Verfahren der offenen Wahl und auch das Dreiklassenwahlrecht, welches die „kleinen Leute“ klar benachteiligte, mag auch dazu beigetragen haben, dass viele Wahlberechtigte später den Wahlen einfach fernblieben. Als z.B. 1888 für den ausgeschiedenen stellvertretenden Gemeindevorsteher Rönnpage ein Nachfolger gewählt werden sollte, war nur die Hälfte der Wahlberechtigten erschienen. Die Wahl musste ein halbes Jahr später nachgeholt werden, aber auch dieses Mal kam nur die Hälfte. Da es sich aber um den zweiten Termin handelte und jetzt die relative Mehrheit zählte, konnte die Wahl trotzdem durchgeführt werden. Neu gewählt wurde der Dreiviertelhufner Friedrich Hack, während Fritz Dohrendorf mit einiger Verspätung am 9. Februar 1889 für weitere 6 Jahre als Gemeindevorsteher wiedergewählt wurde. Sein Nachfolger wurde am 28. Dezember 1894 der Hufner Joachim Sedemund.
Klein Berkenthin: Gastwirt Johann Meier
In der neu gebildeten Gemeinde Klein Berkenthin wurde nach dem gleichen Verfahren am 4. Mai 1878 der bisherige Bauervogt und Gastwirt Johann Meier gewählt, während sein Stellvertreter der Müller Ehlers wurde. Aber schon zwei Jahre später musste der Stellvertreter neu gewählt werden, da Ehlers nach Wandsbek verzogen war. Zu seinem Nachfolger wurde der neue Müller Vollert, der aus Lübeck zugezogen war, gewählt. Dabei musste man sich in Berkenthin erst noch an die preußische Korrektheit gewöhnen, denn die Wahl wurde vom Landrat nicht genehmigt, da die Einladung noch keine Tagesordnung enthielt und auch das Protokoll Fehler enthielt. Nachdem Johann Meier sein Amt abgegeben hatte, wurde 1884 Joachim Dohrendorf für viele Jahre zu seinem Nachfolger als Gemeindevorsteher gewählt und zwei Jahre danach der Hufner Hamester zu seinem Stellvertreter.
Kählstorf: Joachim Sedemund
In Kählstorf wurde der langjährige Bauervogt Joachim Sedemund erster Gemeindevorsteher, während der Kätner H. Derlin zu seinem Nachfolger gewählt wurde. Aber bereits 1885 erklärte Sedemund, dass er nun bereits über 40 Jahre an der Spitze des Dorfes stehe und den Hof an seinen Sohn abgetreten habe. Sein Nachfolger wurde dann noch im selben Jahr Fritz ( Hans Joachim Friedrich) Sedemund. Er amtierte bis 1898, als er von dem Hufner F. Wulf abgelöst wurde.
Die Einführung der bürgerlichen Ehe
Neu war auch, dass 1875 die bürgerliche Ehe vom Reichstag beschlossen und zum Jahresbeginn 1876 eingeführt worden war, während bis dahin die Trauung von Mann und Frau eine rein kirchliche Angelegenheit gewesen war. Das Standesamt wurde dem Bauervogt und Gastwirt Nehls, damals 40 Jahre alt, übertragen, während zu seinem Stellvertreter der Bauervogt Johann Hinrich Meier, 34 Jahre alt, aus Klein Berkenthin bestimmt wurde.
Zum Standesamtsbezirk gehörten neben Groß- und Klein-Berkenthin Kählstorf, Klempau, Rondeshagen, Göldenitz, Klein Weeden, Niendorf und der Gutsbezirk Rondeshagen mit insgesamt 1.424 Einwohnern. Ihnen wurde neben dem Heiratsregister zugleich das Führen des Geburten- und Sterberegisters übertragen. In regelmäßige Revisionen, zu denen der Landrat persönlich nach Berkenthin kam, wurde die Amtsführung der Standesbeamten überprüft. Es wurde jetzt seitens der Obrigkeit auch genauestens darauf geachtet, dass alle Amtshandlungen und Eintragungen im Sinne des Gesetzes vorgenommen wurden und dass es keine Verstöße gab. So sollte u.a. genauestens darauf geachtet werden, dass der Pastor eine kirchliche Trauung erst nach der standesamtlichen Heirat vornahm.
Die Überprüfungen schienen auch dringend nötig zu sein, denn wie nicht anders zu erwarten, verfügten die Bauervögte über keinerlei Vorbildung für dieses Amt: Die Handschriften waren unordentlich, die Orthografie oft höchst fehlerhaft und manchmal stimmten auch die angegebenen Daten nicht. Es begegnen einem offensichtlich nachträglich angefertigte Urkunden, in denen ein ,,Vittelhufner“ Anfang Juni die Geburt eines Kindes anzeigt, das am ,,dreizigten Juni“ geboren worden sein soll.
Johann Friedrich Hack
Johann Friedrich Hack, 1833 geboren, übernahm 1868, inzwischen 34 Jahre alt, die väterliche Stelle in Groß Berkenthin. 1869 heiratete er die Bauernvogtstochter Maria Diestel aus Schmilau – auf dem Hof Hack die erste Ehe seit fast zwei Jahrhunderten, die außerhalb des eigenen Kirchspiels geschlossen wurde! Die Heirat brachte ihm 1.000 Rthlr., 2 Kühe, 4 Schweine, 4 Schafe, 2 aufgemachte Betten, 2 Kleiderschränke usw. ein – Zahlen, die darauf hindeuten, dass es die lauenburgischen Bauernfamilien während der langen Friedenszeit zu einigem Wohlstand gebracht hatten. Er war erst 40 Jahre alt, als er 1874 an einer Lungenentzündig starb. Trotzdem fielen wichtige Ereignisse in seine kurze Wirtschaftszeit. Er war also in seinem relativ kurzen Leben zunächst Untertan des dänischen Königs gewesen, danach preußischer Untertan und in seinen letzten Lebensjahren hatte er noch das vereinigte Deutsche Reich unter preußischer Führung erlebt.
Nach zwei Jahren schloss die Witwe Hack im Frühjahr 1876 eine neue Ehe mit dem Halbhufnerssohn Friedrich Dorendorf aus Klein Berkenthin. Dorendorf war damit seit undenklichen Zeiten der erste Interimswirt auf dem Hof Hack. Ihm wurden seitens des Amtes neunzehn Wirtschaftsjahre auf der Stelle verschrieben. 1895 sollte er den Betrieb wieder an den Stiefsohn Johann Hack abgeben. Das Ehepaar Dorendorf heiratete nicht nur kirchlich, wie alle seine Vorgänger auf der Stelle, sondern auch standesamtlich, denn die bürgerliche Ehe war, wie wir gesehen haben, 1875 vom Reichstag beschlossen und zum Jahresbeginn 1876 eingeführt worden. Das Ehepaar Dorendorf war eines der ersten Paare auf dem Berkenthiner Standesamt. Getraut wurden sie vom Standesbeamten Bauervogt und Gastwirt Friedrich Nehls in dessen Wohnzimmer. Friedrich Dohrendorf wurde 1882 zum Nachfolger Friedrich Nehls als Gemeindevorsteher gewählt.1888, kurz vor Ablauf seiner Amtszeit starb seine Ehefrau, erst 46 Jahre alt, trotzdem trat er ein Jahr später noch einmal an und wurde dann auch für weitere 6 Jahre wiedergewählt. Als 1894 der Zeitpunkt der Hofübergabe nahte, stand gerade wieder die Wahl des Gemeindevorstehers vor der Tür. Dorendorf hat danach nicht erneut kandidiert; sein Nachfolger wurde am 28. Dezember 1894 der Hufner Joachim Sedemund, der später auch das Standesamt übernahm. Kurz vor Weihnachten 1894 trat Dorendorf den Hof in – wie die Akten erwähnen – ,,sehr guter Beschaffenheit“ an seinen Stiefsohn Johannes Hack ab. Nur die beiden Schwestern Maria und Elise waren noch abzufinden. 1898 wohnte der alte Dorendorf in Breitenfelde.