Sprengung Eisenbahnbrücke

Mit feundlicher Genehmigung des Kreisarchivs Stormarn

Wer in den Jahren vor 1985 auf dem Uferweg entlang des Elbe-Lübeck-Kanals von Krummesse nach Berkenthin wanderte, dem bot sich kurz vor Berkenthin ein eindrucksvolles Bild: Eine ästhetische Brückenkonstruktion  überspannte hier den Kanal, und wer sich die Mühe machte, die offensichtlich nicht mehr benutzte Brücke zu betreten, der wurde nicht enttäuscht: Der Blick in die Parabelbogenkonstruktion und von der Brücke nach Süden auf Berkenthin mit Kanal und Schleuse und dem markanten Kirchturm  war beeindruckend.

Gasthof Paul Lütgens und Eisenbahnbrücke 1900

Blickte man von der Brücke nach Norden, so öffnete sich eine anmutige Kanallandschaft. Ging man dann weiter zur Schleuse, sah man von hier die prächtige, elegante Brücke, die beim Bau 1897 ,,Stecknitzviaduct“ genannt wurde, weil sie das Tal der Stecknitz, überbrückte. Kanal, Schleusenanlagen und Eisenbahnbrücke bildeten ein Ensemble von seltener Dichte, und wohl keiner konnte sich dem Reiz von Landschaft und Technik entziehen.

 (Wolfgang Heidemann: Anmerkungen zur Geschichte der Eisenbahnlinie Bad Oldesloe – Hagenow und der Eisenbahnbrücke bei Berkenthin, in Mitteilungen des Canal-Vereins, Rendsburg 1989, S. 45. Auch die folgende Darstellung stützt sich in weiten Teilen auf diesen Aufsatz)

Elbe-Lübeck-Kanal und Eisenbahnbrücke

Vom Bau der „Kaiserbahn“ und der Brücke berichtet ein eigenes Kapitel dieser Chronik. Die Eisenbahnbrücke war danach über viele Jahrzehnte das Wahrzeichen des Ortes, sie bestimmte das Bild der Kanalniederung, es gab kaum eine Post- oder Ansichtskarte des Ortes, auf der sie nicht abgebildet war. Als die Brücke schließlich 1985 abgerissen wurde, endete damit für Berkenthin endgültig das Kapitel Eisenbahngeschichte, das 1897 begonnen hatte. Der Tag der Sprengung selbst hat sich dann auch tief in das Gedächtnis der Bewohner eingebrannt. Mehr oder weniger alle waren Augenzeugen des Ereignisses und es gibt wohl kaum einen Haushalt in dem sich nicht Fotos von der Sprengung befinden.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges teilte die Zonengrenze die Eisenbahnlinie Hagenow-Ratzeburg-Oldesloe, so dass die Verbindung unterbrochen wurde. Auf östlicher Seite endete die Linie in Zarrentin (Mecklenburg), auf westlicher Seite in Hollenbek (Schleswig-Holstein). Wegen des starken Anstieges des Individualverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland wurde der Personenverkehr auf der Linie Oldesloe-Hollenbek, auf der zuletzt  täglich zwei Triebwagen der Deutschen Bundesbahn verkehrten, mit dem Winterfahrplan 1962/63 eingestellt; 1971 erfolgte dann die Einstellung des Gesamtbetriebes auf der Strecke Oldesloe – Ratzeburg. Einige Jahre blieb dann lediglich eine Reststrecke von Ratzeburg bis Hollenbek erhalten, die nur einige Tage besonders während der herbstlichen Rübenernte für landwirtschaftliche Güter genutzt wurde. Aber irgendwann kam auch für diese Teilstrecke das „Aus“ und heute bietet die „Erlebnisbahn Ratzeburg“ dieser 13 km langen stillgelegten Bahnstrecke Touren auf Handhebeldraisinen an.

Brücke von 1981 nach Abbau der Gleise und des Belages. Foto von Busch

Mit der Stilllegung der Strecke Oldesloe-Ratzeburg war  1971 das Brückenbauwerk überflüssig geworden und verursachte der Bundesbahn als Eigentümerin nur Kosten, so dass es verständlich war, dass sie sich von der Brücke trennen wollte.  In einer Aktennotiz Der Bundesbahndirektion Hamburg-Altona vom 26. Juli 1997 hieß es: ,,Das oben genannte Bauwerk soll abgebrochen werden, da bei zunehmendem Verfall ein späterer Abbruch gefährlicher und erheblich teurer werden wird. Solange die Finanzierung nicht sichergestellt ist, kann einer Vergabe des Abbruchauftrages nicht nähergetreten werden. Die Firmen sind zu verständigen.“ Zwei Jahre später, am 21. März 1978, wird weiter festgestellt: ,,Für den Abbruch des oben genannten Bauwerkes wird zur Zeit ein Planungsheft erstellt. Im Augenblick erscheint allerdings der Abbruch wegen des niedrigen Schrottpreises unwirtschaftlich, es muss also damit gerechnet werden, dass sich die Abbruchharbeiten noch  4 bis 5 Jahre hinauszögern.

Die Brückenbuch-Prüfungsbefunde 1963 bis 1979 zeigen den immer schlechter werden Zustand der Brücke an. Und es stand damals außer Frage, dass die Bundesbahn die Brücke früher oder später abreißen lassen würde.




Die Prüfbuch-Prüfungsbefunde sahen wie folgt aus:

1963: Alle Holzteile an den Befestigungsstellen stark angemorscht. Noch keine Querschnittsschwächung durch Rost.

1970: Längsträger, Längebalken, Querträger, Querbalken, Hauptträger, Überbau insgesamt stark verrostet.

1972: Widerlager: Im allgemeinen in Ordnung, Flügel von rechts, Ende abgerissen und abgesackt.

Überbauten: Mehrfach leichte bis mittlere Aufrostungen an den Obergurt-knotenblechen, sonst i.O.

Oberbau: Brückenbalken durchmorscht und teilweise gerissen. Fahrbahnabdeckung, Befestigungsschrauben fehlen, z.B. am Übergang II/III vollständig. Insgesamt fehlen 25 Stück Bohlen, Bodenbelag i.O.

Anstrich: Starker Farbabtrag an der Fahrbahn und Haupttäger-Obergurt, sonst mehrfach Rost.

1975:  Zustand unverändert. Oberbau und Brückenbalken wurden III/75 zurückgebaut.

1979: Brücke entbehrlich, das Bauwerk entspricht den Anforderungen (Anm. des Verfasser: Kein Eisenbahnverkehr, deshalb „entspricht den Anforderungen“)

Alle Versuche, die Brücke zu verkaufen oder zu verschenken, schlugen letztendlich fehl. Dabei mangelte es nicht an Vorschlägen für eine anderweitige Nutzung z.B. als Teil eines Wanderweges oder als Standort für ein Café oder gar für ein Eisenbahnmuseum. Über weitere denkwürdige Ideen berichtete ein Artikel in den Lübecker Nachrichten vom 7.12.1979 unter der der Überschrift „Bundebahn bietet Brücke als Geschenk“:

„Die Deutsche Bundesbahn hat eine Eisenbahnbrücke zu verschenken und keiner will sie haben. Gemeint ist die Eisenbahnbrücke über den Elbe-Lübeck-Kanal an der ehemaligen Bahnstrecke Ratzeburg – Bad Oldesloe bei Berkenthin. Interessenten gab es bereits. Doch jeder schreckte bisher vor den hohen Kosten zurück, die erforderlich sind, um die Brücke in gutem Zustand zu erhalten, und das ist die Bedingung der Bundesbahn. Ein nach Schleswig-Holstein gezogener Bayer, der sich selbst „Wurzelsepp“ nennt, wollte die Brücke kaufen und auf ihr Waggons zur Wochenendnutzung aufstellen. Es heißt sogar, dass er zwischen den Brückenpfeilern Wohnelemente anbringen wollte. Die Gemeindevertretung von Berkenthin war indes skeptisch und stellte Nachforschungen an. Der ehemalige Bürgermeister Richard Meyer: „Die Recherchen stellten uns nicht zufrieden, so dass die Gemeinde ihre Genehmigung zu diesem Projekt nicht erteilte.“

Pensionat Lehmkuhl und Eisenbahnbrücke 1914

Weitere die Pläne nach Afrika zu verkaufen und sie dort bei reichen Ölscheichs über einer Oase wieder aufzustellen, waren lediglich Wunschträume und wurden als Scherz verbreitet. Auch dem Kreis Herzogtum Lauenburg hatte die Bundesbahn das stählerne Ungetüm angeboten. Der Kreisausschuss lehnte das Angebot jedoch dankend ab. Landrat Günter Kröperlin: „Zugegeben, die Brücke wäre eine schönes Wahrzeichen, aber um des Images willen die hohen Unterhaltungskosten aufzubringen, dazu ist der Kreis nicht in der Lage.“ Wenn sich nicht noch ein Interessent finden lässt, der die vielen Scheine für den Unterhalt der Brücke ausgeben will, wird die Bundsbahl wohl oder übel eines Tages mit Spitzhacke und Dynamit anrücken müssen. Denn der Zahn der Zeit geht auch an der Brücke nicht spurlos vorüber. Es wird zwar Jahre dauern, bis das Stahlgerippe so weit durchgerostet ist, dass es durch die Baufälligkeit eine Gefahr für die Schifffahrt auf dem Elbe-Kübeck-Kanal darstelle, doch werden die Kosten für den Abbruch nicht geringer. Nach Auskunft von Henning Minck, dem Dezernenten der Bundesbahndirektion Hamburg, liegen sie bereits jetzt über eine Million Markt. Minck: „Die Bundsbahn wäre dankbar, wenn das Bauwerk erhalten bliebe, aber wem  wir die Brücke auch schenken, er müsste nachweisen, dass er in der Lage ist, sämtliche Sicherheitsfaktoren, die für einen Erhalt notwendig sind, einbauen zu lassen.“ Wie auch immer, die goldenen Zeiten, als der deutsche Kaiser über diese Brücker zur Kieler Woche fuhr, gehören längst der Vergangenheit an. Was bleibt, ist Rost.“

Seitens der Gemeindevertretung gab es weitere Versuche, das Bauwerk zu erhalten, so über die Denkmalpflege in Kiel. Man argumentierte damit, dass es sich bei dem Stecknitz-Viadukt um ein einzigartiges Industriedenkmal handele, mit dem in der Region viele Erinnerungen verknüpft seien. Allerdings scheiterten alle Versuche letztendlich an den hohen Unterhaltungskosten die auf mehrere  die weder von der Gemeinde noch vom Kreis noch der Bundesbahn getragen werden wollten. In einem Schreiben des Landeskonservators Dr. Beseler vom 22.5.1981 hieß es:

„Ich sehe nach Lage der Dinge keinerlei Möglichkeiten, etwas für die Erhaltung der Brücke zu tun, da nach unseren Erfahrungen die laufende Unterhaltung der Eisenkonstruktion außerordentlich aufwendig ist und jede Erhaltungsfrage sofort mit der Frage der Folgekosten gekoppelt wird. Auch die Umwidmung in einen Fahrradweg würde dieses Problem in keiner Weise erleichtern. So bleibt mit die bittere Antwort – ich sehe keine Lösung und wir werden von dieser Brücke Abstand nehmen müssen. Dabei wird nicht übersehen, dass es wiederum ein Stückchen Geschichte ist, das unwiederbringlich verlorengeht.“

Vor allem die Bundesbahn sah sich damals in der Kritik, nicht alles für den Erhalt getan zu haben und sich sogar Angeboten zur Rettung widersetzt zu haben. Seitens der Bahn wurden die nötigen Mittel  zur Restaurierung alleine auf  1,4 bis 1,5 Mio. DM beziffert, ohne dass dabei die Folgekosten berücksichtigt worden wären. Wie sehr die wirtschaftliche Argumentation damals im Vordergrund stand, mag eine weitere Meldung in den Lübecker Nachrichten vom 8.2. 1986 mit der Überschrift „Auch der Brückenrest wird entfernt“ belegen. Darin wurde berichtet, dass der Versuch, wenigstens das westliche Widerlager der Brücke, einen stattlichen turmartigen Bau, zu retten und dort oben („einzigartiger Aussichtspunkt“) eine Erinnerungstafel für die ehemalige Brücke zu errichten, fehlgeschlagen ist. Mit neun gegen zwei Stimmen wurde der Antrag der Berkenthiner Wählerinitiative zurückgewiesen.  Und der Artikel endet: ,,Von der Eisenbahnbrücke, dem einstigen Blickfang Berkenthins, wird bald also nichts mehr zu sehen sein.“

Nachdem alle Versuche, einen Käufer zu finden und andere Erhaltungsversuche letztendlich wegen der hohen Kosten gescheitert waren, wurde 1980 bei der obersten Bauaufsichtsbehörde des Landes Schleswig-Holstein, dem Innenministerium,  eine  Rückbaugenehmigung eingeholt.

Mit Schweißbrennern werden die Träger durchtrennt. Foto C. Speth

Seit 1981 lag dann ein genehmigtes  Planungsheft bei der Bundesbahndirektion Hamburg vor, deren Kostenvoranschlag mit einer Gesamtsumer von 1,5 Mio. DM abschloss. Aufgrund der ungewöhnlich hohen Schrottpreise zur Jahreswende 1984/85 lagen der Bundesbahn günstige Rückbauangebote vor, so dass man sich nach Jahren der Planung nun endlich für den Abriss entschied. Zudem wurde die Angebotshöhe zusätzlich dadurch gesenkt, dass der Elbe-Lübeck-Kanal aufgrund von eigenen Bauarbeiten der Kanalverwaltung vom 1.1.bis 11.3. 1985 für den Schiffsverkehr ohnehin gesperrt war. Hierdurch konnten zusätzlich kostenaufwendige Bauzustünde vermieden werden. Ferner entschied man sich für ein Sprengverfahren, wodurch ein aufwendiger und teurer Gerüstbau umgangen wurde. Nach Verkauf der Stahlteile entstanden der Bundesbahn schließlich  Kosten in Höhe von 282 000 DM für den Rückbau. Der Rückbau mit allen Nebenarbeiten erfolgte schließlich in der der Zeit vom 2.1. 1985 bis zum 23.101985, die erste Sprengung erfolgte am 23.11.1985.

Vorbereitung der Sprengung: Die Trennung über dem Pfeiler ist deutlich erkennbar. Foto: C. Speth

Bereits in der Woche vorher hatten die Abbrucharbeiten begonnen. Arbeiter hatten bei frostigem Winterwetter dazu  Teilstücke aus einem Brückenteil auf der östlichen Kanalseite mit Schweißbrennern herauszuschnitten und damit die Sprengung vorbereitet. Damit die Brückenteile nicht vorzeitig einstürzten und Menschen gefährdeten, war sorgsam berechnet worden, welche Teile durchtrennt werden durften, bevor dann die Sprengladungen vom Sprengkommando angebracht werden konnten. Von dem Tag der ersten Sprengung berichteten dann die Lübecker Nachrichten in ihrer Ausgabe vom 24.1.1985 unter der Überschrift „Die Berkenthiner Eisenbahnbrücke sinkt zusammen“:

Erste Sprengung 23.1.1985. Foto: C. Speth
Erste Sprengung 23.1.1985. Foto:C. Speth

„Gegen 16.20 Uhr ertönte gestern das doppelte Alarmsignal der Sicherheitskräfte, Sprengmeister Peter Burmeister löste die Initialzündung aus, vier Detonationen krachten – das erste Teil der Berkenthiner Brücke stürzte zwischen die Pfeiler. Die Sprengung der großen Eisenbahnbrücke über den Elbe-Lübeck-Kanal sollte bereits um 15 Uhr erfolgen, doch die vorbereitenden Arbeiten verzögerten sich. Die Anzahl der Schaulustigen wurde immer größer, und die Polizei bemühte sich, die Zuschauer in Deckung zu bringen.

Sprengung des Mittelstücks. Foto: C. Speth
Sprengung des Mittelstücks. Foto: C. Speth

Für die Brückensprengung war ursprünglich ein Sicherheitsabstand von 1000 Metern vorgesehen. Da das aber durch die unübersichtliche Ortslage erhebliche Probleme ergeben hätte, stimmte das Gewerbeaufsichtsamt einem Sicherheitsabstand von nur 500 Metern zu, unter der Bedingung, dass die zu sprengenden Punkte abgeschirmt würden. Das geschah auch. Die Abdämmung  der Sprengstelle erfolgte durch Sandsäcke, Stahlplatten und Gummimatten (….) Dann mussten die Zuschauer in Deckung gehen, Querschläger des abgesprengten Metalls hätten in die Menge fliegen können.

Nach der zweiten Sprengung. Foto C. Speth

Die Anfangsgeschwindigkeit der Eisenteile betrug rund 800 Meter pro Sekunde, etwa so viel wie die eines Infanteriegeschosses. Bevor die Sprengladung gezündet werden konnte, hatten die Fachleute alle Hände voll zu tun, um die 20 Kilo Seismogelit an den vorher berechneten Punkten zu befestigen.

Blick über den gesprengten Pfeiler in das Mittelteil. Foto: S. Speth

Insgesamt benötigten die Experten 32 Sprengstellen. Bei dem Sprengstoff handelt es sich um eine hohe Konzentration von Sprengöl mit einer sehr hohen Brisanz. So beträgt die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Explosion rund 6000 Meter pro Sekunde. Die Berechnungen waren präzise: Das rund 200 Tonnen schwere Brückenteil fiel genau zwischen die Pfeiler. Heute beginnen Mitarbeiter einer Verschrottungsfirma aus Salzgitter damit, das Brückenteil mit Schweißbrennern auseinanderzuschneiden.“

Mit ähnlicher Präzision erfolgte dann in den Tagen und Wochen nach jeweils entsprechender Vorbereitung die Sprengung der anderen Brückenteile. Bei der zweiten Sprengung, bei der das Brückenteil direkt über dem Elbe Lübeck Kanal abgesprengt wurde, fielen dann auch die ersten Brückenpfeiler. So manchem alten Berkenthiner mag es nach der Sprengung ein wenig wehmütig ergangen sein, endete doch mit dem Abbruch eine Ära, die für Berkenthin nicht wiederkommt.

(In Anlehnung an Wolfgang Heidemann: Anmerkungen zur Geschichte der Eisenbahnlinie Bad Oldesloe – Hagenow und der Eisenbahnbrücke bei Berkenthin, in Mitteilungen des Canal-Vereins, Rendsburg 1989, S. 45 ff.)