zwischen den Kriegen

1922: Blick von Groß Berkenthin über den Kanal auf Klein Berkenthin, rechts die Kirchsteigbrücke (Kreismuseum Ratzeburg)
Kirchenstr. 14; Zustand 2023 Straßenseite (Foto: © G. Weinberger)

Das Gaul´sche Haus in der Kirchenstraße

Nur die wenigsten Berkenthiner wissen  heute noch etwas über die besondere Geschichte des Hauses Kirchenstraße 14. Nur älteren Mitbürgern ist dieses auffällige Gebäude mit den zwei Giebeln noch als das sogenannte Gaul´sche Haus bekannt. Tatsächlich befand sich dieses Haus in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts im Besitz der Witwe des berühmten bildenden Künstlers August Gaul. August Gaul, geb. 1869 in Großauheim, gest. 1921 in Berlin, gehört zu den Wegbereitern der modernen Bildhauerei in Deutschland. Er entwickelte unter anderem das Tiermotiv zum besonderen Kunstwerk, in vielen Städten sind seine zum Teil monumentalen Tierplastiken noch heute an öffentlichen Plätzen aufgestellt. So zum Beispiel vor der Kieler Kunsthalle.

Wisent vor der Kieler Kunsthalle von A. Gaul (Foto: © G. Weinberger)
 
Er gehörte zu seiner Zeit zu den bekanntesten Künstlern der Berliner Kulturszene und selbst Kaiser Wilhelm soll zu den Besuchern seines Ateliers gehört haben. 1908 wurde er zum Professor der Akademie der Künste in Berlin ernannt.

August Gaul heiratete im Jahre 1900 in Berlin-Willmersdorf eine Clara Antonie Haertel (1874–1940), die als tatkräftige, charismatische Erscheinung „mit wildem schwarzen Haar und glühenden Augen“ geschildert wird. Mit ihr hatte er drei Kinder: die zwei Töchter Charlotte und Katharina und den Sohn Carl Peter, die 1901, 1902 und 1906 geboren wurden. Zusätzlich nahm sie das Waisenkind Kurt Reinheldt, den späteren Mann der Tochter Charlotte, in ihr Haus auf. 1907 baute Gaul für sich und seine Familie ein Haus mit Atelier am Roseneck in Berlin-Grunewald. Allerdings ging die Ehe 1912 auseinander.

Clara lebte mit den Kindern danach in Berlin-Lichterfelde, ohne dass die Ehe geschieden wurde. Als dann 1921 August Gaul an einem Krebsleiden starb, verkaufte Clara ihre Wohnung in Berlin-Lichterfelde und zog in das Anwesen ihres verstorbenen Mannes nach Berlin-Grunewald. Die Enkelin des Künstlers, Frau Hansen-Gaul, die noch in Berkenthin geboren wurde und heute in Pinneberg lebt, nimmt an, dass Clara Gaul  dann vom Verkaufserlös ihrer Lichterfelder Wohnung das Anwesen in Berkenthin kaufte. Laut Grundbucheintrag erfolgte der Kauf im April 1922.

Wie die Familie Gaul ausgerechnet auf Berkenthin aufmerksam wurde, um sich hier einen weiteren Wohnsitz zu schaffen, kann nicht abschließend geklärt werden, aber Frau Hansen-Gaul hält es für wahrscheinlich, dass August Gaul und mit ihm seine Familie durch Ernst Barlach auf die Schönheit der lauenburgischen Landschaft aufmerksam gemacht worden war. Der Bildhauer, Schriftsteller und Zeichner Barlach hatte bekanntlich einen Teil seiner Jugend in Ratzeburg verbracht, wo sich das Grab seiner Eltern befand und wo er später selbst seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurden Gaul und Barlach dann enge künstlerische Weggefährten und waren zudem bis zu Gauls Tod im Jahre 1921 freundschaftlich verbunden. Zudem war Berkenthin durch die Eisenbahnverbindung Berlin – Kiel, welche direkt durch den Ort führte, gut und relativ schnell von Berlin aus zu erreichen.

Das Anwesen, das nun in den Besitz der Familie Gaul überging, war um das Jahr 1911 von dem Bauunternehmer Heinrich Hagen gebaut worden und hatte danach der Hamburger Kaufmannsfamilie Praasch gehört und wurde auf alten Postkarten zuweilen als „Jägerhaus Berkenthin“ bezeichnetet. 

Jägerhaus und Fasanerie 1901 (AK Sammlung G. Weinberger)
um 1910 mit Familie Brasch
Berkenthin.(Brasch). 1922.
Foto von Albert Hannig.
Glasplattennegativ im Kreismuseum in Ratzeburg.

Zu dem Haus gehörte ein  großes Grundstück und es zeichnete sich damals wie heute durch seine besondere Lage oberhalb der Niederung des damaligen Elbe-Trave-Kanals aus. In dieser Zweitresidenz verbrachte nun Frau Professor Gaul immer wieder viele Wochen und Monate, wenn sie sich nicht gerade in ihrem Hauptwohnsitz in Berlin aufhielt. Dabei wurde sie häufig von ihren Kindern und sonstigen Familienmitgliedern begleitet. Der Sohn Carl Peter fand in Berkenthin, wie wir sehen werden, seine spätere Ehefrau, und  auch Tochter Charlotte und ihr Ehemann Curt Reinheldt hatten ihre eigenen Räume. Der Kunsthändler und Antiquar Curt Reinheldt übernahm dann in den späten Berkenthiner Jahren für seine Schwiegermutter die geschäftlichen Angelegenheiten das Haus betreffend. Auch die Tochter Katharina, von allen liebevoll „Maus“ genannt, lebte  mit ihrem Ehemann, dem Lehrer Trölsch,  in Berkenthin. Während der Abwesenheit der Mutter sorgte sich meist eines der Kinder um das Anwesen. In dieser Zeit ergaben sich diverse freundschaftliche Kontakte zu einigen Berkenthiner Familien.

Erweiterung Gaulsches Haus 1924 (Fotoalbum H. Schwarz)
Richtfest 1924 (Fotoalbum H. Schwarz)

In den Jahren 1924/25 wurde  das Haus von dem Mauermeister und Bauunternehmer Heinrich Schwarz großzügig erweitert und erhielt damit sein heutiges Aussehen. „Standesgemäß“ erhielt das Gebäude in diesem Zusammenhang eine große Freitreppe im rückwärtigen Bereich und Skulpturen des Künstlers schmückten des Grundstück. Da Clara Gaul offensichtlich Gefallen am Landleben und der landwirtschaftlichen Betätigung fand, wurden Im Laufe der Jahre immer weitere Nebengebäude auf dem weitläufigen Grundstück errichtet, so ein kleiner Stall für zwei Kühe, ein Schweinestall ein Hühnerstall mit Auslauf und ein Backhaus mit Backofen.  Und selbstverständlich hielt man auch Pferde, für die ein Pferdestall gebaut wurde. Von der Errichtung eines Heuschobers konnte sie dann erst durch das Abraten des befreundeten Heinrich Schwarz abgehalten werden. Daneben wurde zumindest noch eine weitere landwirtschaftliche Fläche dazu gepachtet. Für Bewirtschaftung dieser Kleinlandwirtschaft wurde nach den Erinnerungen Frau Hansen-Gauls ein Herr Krüzfeld (Kreuzfeld?) eingestellt.

Das Gaulsche Haus vom Kanal aus gesehen (Fotoalbum H. Schwarz)

Allerdings blieb das große Anwesen durch Hypotheken dauerhaft schwer belastet. Die Familie Gaul zeigte sich letztendlich nicht in der Lage, die Zinsen u.a. für einen  von einem Lübecker Kaufmann  in Anspruch genommenen Kredit  zu zahlen, geschweige dann die Schuld zu begleichen. In der Folge  kam es dann während der großen Wirtschaftskrise 1932 zur Zwangsversteigerung des gesamten Anwesens, um die Gläubiger abzufinden. Es wurde von Mauermeister Heinrich Schwarz meistbietend ersteigert, wodurch es zu einem ernsten Zerwürfnis mit dem einst befreundeten Curt Reinheldt kam. Schwarz hatte der Witwe bereits vorher einen Teil des großen Grundstückes abgekauft und sich zudem in einem regen Briefverkehr mit Curt Reinheldt vergebens um eine für alle befriedigende Lösung bemüht. Nach der Ersteigerung des Hauses bot er der Familie Gaul das Haus sogar zum Rückkauf an, da diese sich aber nicht zahlungsfähig zeigte oder/und das Interesse an dem Haus verloren hatte, wurde am Ende die Familie aufgefordert, das Mobiliar möglichst umgehend abholen zu lassen, um einer Zwangsräumung zuvorzukommen. Das Haus wurde danach vermietet und erlebte danach eine wechselvolle Geschichte. 

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war hier zeitweilig sogar die Amtsverwaltung untergebracht. In einigen Berkenthiner Häusern verblieben nach dem Wegzug der Familie Gaul noch diverse Tierskulpturen des Künstlers August Gaul, die noch länger an die berühmte Künstlerfamilie erinnerten. Mit Ihnen hatte die offensichtlich stets in Geldnöten lebende Witwe anfallende Schulden beglichen oder sie waren von ihr an befreundete Familien verschenkt worden.

Klara Gaul (Foto: C. Hansen-Gaul)
Enkeltochter Charlotte Gaul auf der Gartentreppe ca. 1930 (Foto: C. Hansen Gaul)

Damit war die Geschichte der Familie Gaul in Berkenthin noch nicht beendet. Der Sohn des Ehepaares August und Clara Antonie Gaul, Carl Peter Gaul, heiratete, wie angedeutet, die 1908 geborene Berkenthinerin Frieda Höpner aus der Schützenstraße. Carl Peter Gaul  verdiente in  schwierigen wirtschaftlichen Zeiten den Lebensunterhalt der Familie als Hilfsarbeiter. Später ging dann  auch diese Ehe wie die Ehe des Elternpaares Gaul auseinander und  Carl Peter Gaul ging wieder nach Berlin, während seine Ehefrau Frieda mit den Kindern zunächst noch  in der Schützenstraße blieb. 1934 zog sie dann auch in die Hauptstadt, wo sie unter schwierigsten wirtschaftlichen Bedingungen ihre Kinder alleine aufziehen musste. So arbeitete sie zeitweise als Packerin in einer Fabrik, während sie abends noch Kurse im Maschinenschreiben und Stenografie belegte. 

Die Tochter, die heutige Charlotte Hansen-Gaul aus Pinneberg erlebte ihre ersten 7 Kindheitsjahre und ihre Einschulung noch im Haus der Großeltern in der Schützenstraße, bevor die Mutter mit den Kindern dann 1934 nach Berlin zog, wo sie dann auch wieder mit ihrem Vater in Kontakt kam. In den Folgejahren  verbrachte sie dann  aber auch weiterhin ihre Ferien bei den Großeltern.

Gegen Ende des Krieges wurde die Familie dann in Berlin ausgebombt und „strandete“ nach der Formulierung Frau Hansens im Frühjahr 1945 wieder in Berkenthin. Hier in dem mit Flüchtlingen überfüllten Ort erlebte sie dann bis in die frühen 50er Jahre hinein ihre Jugendjahre. Sie selbst erlebte diese Jahre trotz  aller Not als eine „ganz besondere Zeit“ ihres Lebens, da alte gesellschaftliche Unterschiede keine Rolle mehr spielten und sich alle durch die Freude, den Krieg überlebt zu haben, und den allgegenwärtigen Mangel  in besonderer Weise verbunden fühlten. Später bildete sie sich weiter fort und wurde schließlich nach einem bemerkenswerten beruflichen Werdegang eine enge Mitarbeiterin des Verlegers Gerd Brucerius.

Und auch das sei noch angemerkt: Die Mutter Frieda Gaul, geb. Höppner, die sich selbst unter schwierigsten Bedingungen fortgebildet hatte, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die erste weibliche Sachbearbeiterin im Katasteramt Ratzeburg.

Zustand 2023 Gartenseite (Foto: © G. Weinberger)
Graf Luckner (Foto Wikipedia GNU)

Graf Luckner – ein Kriegsheld?

Eínen großen Tag erlebte Berkenthin einem überschwänglichen Zeitungsbericht zufolge am 1. August 1920. An diesem Tag besuchte der damals sehr populäre Felix Graf Luckner (* 9. Juni 1881 in Dresden; † 13. April 1966 in Malmö)  auf Einladung des örtlichen Kriegervereins die Gemeinde. Zustande gekommen war der Kontakt über den Hamburger Kaufmann Praasch, der in dem heutigen Haus Nr. 14 in der Kirchenstraße wohnte, dem später so genannten Gaulschen Haus.  Felix Graf Luckner hatte es während des ersten Weltkrieges zu einer großen Berühmtheit gebracht, als er als Kapitänleutnant und Kommandant des Hilfskreuzers „Seeadler“, eines Segelschiffes mit Zusatzmotor, die britische Seeblockade durchbrach. Hierzu tarnte er das Schiff als norwegischen Frachter. Laut Kriegstagebuch kaperte der „Seeadler“ diverse feindliche  Schiffe, von denen er 14 versenkte. Im Verlauf dieser Aktionen kam aber nur ein einziger Seemann ums Leben, was Luckner zudem den Ruf eines „ritterlichen“ Seeoffiziers“ einbrachte.  Am 2. August 1917 zerschellte die Seeadler auf einem Riff vor dem südpazifischen Atoll Mopelia. Luckner geriet in Gefangenschaft, in der auch nach einem abenteuerlichen gescheiteren Fluchtversucht bis Kriegsende blieb. 

Seine Bereitschaft zu gewagten Unternehmungen auf See für die Kaiserliche Marine  brachte ihm den Beinamen „Seeteufel“ ein. Unter seinem Namen erschienen nach Kriegsende mehrere Bücher, in denen  er seine  Erlebnisse niederschrieb, wobei das Buch „Seeteufel“  zu seinem Hauptwerk wurde.  Allerdings bediente er sich einiger Ghostwriter  und nachweislich entstammte nur ein Teil der Texte seiner Feder. Gleichzeitig begann er nach dem Krieg Vorträge über seine Abenteuer zu halten, die er durch freie Erfindungen anreicherte, die aber in der nationalen Stimmung jener Jahre überall viele Zuhörer fanden. Später führten ihn seine Vortragsreisen sogar ins Ausland, vor allem in die USA, wo er als „wahrer deutscher Patriot“, wie er sich bezeichnete, recht populär wurde.  Zusammenarbeit mit den NS-Machthabern, das Sich-Hofieren-Lassen durch die NSDAP-Prominenz sowie Verbindungen zu einflussreichsten Funktionären des Hitler-Regimes charakterisieren dann Luckners Verhalten zwischen Juni 1933 und April 1945. Deswegen und auch wegen der zweifelhaften Qualität seiner Vorträge geriet er nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend in die Kritik.


Ein großer Festtag in Berkenthin

Damals aber, am 1. August 1920, kam er als großer Kriegsheld nach Berkenthin. Mit ihm kamen große Teile  seiner Mannschaft mit der Eisenbahn in den Ort. Der Festakt begann mit einem feierlichen Festgottesdienst in der voll  besetzten Kirche, der von Pastor Lüders gehalten wurde. Es folgte ein Festmahl in Meiers Gasthof in Klein-Berkenthin, an dem neben den Mitgliedern des Kriegervereins auch viele andere Honoratioren des Ortes teilnahmen. Höhepunkt der im Anschluss gehaltenen  Reden war dann schließlich die Verleihung des Ehrenbürgerdiploms durch den Groß Berkenthiner Gemeindevorsteher Wilhelm Dohrendorf: Graf Luckner wurde darin zum Ehrenbürger der Dorfschaft Groß Berkenthin ernannt.  Gegen 3 Uhr am Nachmittag nahm dann die ganze Festgesellschaft vor dem Gast Aufstellung für den Umzug. Unter Voranschreiten einer Kapelle ging es durch den mit Ehrenpforten geschmückten Ort zum Festplatz am Eisenbahntunnel in Groß Berkenthin, wo dann wiederum unter einem dreifachen „Hurra“ und dem Singen der Nationalhymne eine Eiche gepflanzt wurde. Leider lässt sich der genaue Standort der Pflanzung heute nicht mehr ermitteln. 

In den im Pathos jener Jahre gehaltenen Reden, „sollte der Baum daran erinnern in steter Liebe und Treuer zu  dem deutschen Vaterland zu halten. Opfermut und Heldentum des Grafen und seiner „Jungs“ sollte insbesondere der Jugend für immer  einleuchtendes Beispiel sein“. Zum Ausklang des Tages erinnerte dann der Graf in Meiers Gasthof ein einem seiner berühmten Vorträge an die Schlacht im Skagerak 1916. In den Lauenburgischen Nachrichten vom 2.August 1920 hieß es das ‚Geschehen  zusammenfassend: „Die Berkenthiner haben wieder  einen großen Tag hinter sich. Der Wunsch gewiss recht vieler,  der Sonntag möge 48 Stunden lang sein, ging zwar nicht in Erfüllung. Aber 24 Stunden lang hat man ihn rechtschaffen gefeiert.“


Dazu noch die Erinnerungen von Heinrich Hinz, Obermatrose unter Graf Luckner:

… Das Band der gemeinsamen großen Erinnerungen umschlingt die Seeadler-Mannen. In Münster in Westphalen bildete sich bald nach unserer Heimkehr die sogenannte „Seeadler-Hilfe“, eine gemeinsame Unterstützungskasse für hilfsbedürftige Kameraden. In Hamburg trafen sich die „blauen Jungen“ wieder, und am 2. August 1920, als sich der Untergang unseres Heldenschiffes zum dritten Male jährte, scharten wir uns in dem lauenburgischen Dörfchen Berkenthin bei Ratzeburg um unseren einstigen Kommandanten zu einer erhebenden Feier. Das Dorf war mit schwarz-weiß-roten Fahnen festlich geschmückt, und nach feierlichem Umzuge mit der Flagge des unsterblichen „Seeadler“ wurde eine Eiche gepflanzt zur Erinnerung an die große Zeit. Admiral Pohl sprach zu der Jugend, die er ermahnte, mit dem jungen Baum den alten, deutschen Geist für die Zukunft zu pflegen. Unser Graf Luckner pries das alte Vaterland, und sein Hoch galt der baldigen Wiedergenesung, der Pflicht der Jugend und der deutschen Treue. Durch das Dorf aber klang es wie ein Schwur: „Deutschland, Deutschland über alles!“ Dem Grafen wurde die Ehrenbürger-Urkunde feierlichst überreicht, und später sprach er in lebendiger Weise über die Skagerak-Schlacht, an der er auf dem „Kronprinz“ einst teilgenommen. Der Pfarrer des Dorfes aber richtete Worte der Zuversicht auf eine bessere Zeit an die Seeadlermannschaft, die deutschen Ruhm und Wagemut weit übers Meer getragen! …

Mit Schilderungen seiner Kriegserlebnisse zog Graf Luckner die Menschen in seiner bann. Im Bild der Hilfskreuzer „Seeadler“ (Abb. Wikipedia GNU)

 

Felix Graf von Luckner versetzte sein Zuhörerschaft oft dadurch in Erstaunen, dass er dicke Adressbücher vor ihren Augen zerriss. Hier bestätigt er, dass er am 11. Januar 1935 ein Reichsadressbuch mit ca. 8.960 Seiten in Bad Liebenwerda zerrissen hat. Jahrzehnte später demonstrierte er seine Kräfte dann tatsächlich auch seinem Berkenthiner Publikum. Denn in den 50er Jahren kehrte er noch einmal wieder zu einem Vortrag in Meiers Gasthof zurück. Der spätere Besitzer Hans-Otto Meier erinnert sich, dass er damals tatsächlich vor einem vollbesetzten Saal ein Telefonbuch von beträchtlicher Stärke mit bloßen Händen zerriss!
 
Stralsunder Tageblatt 1920
Der Wagen der Zimmerleute mit einem verkleinerten lauenburgischen Bauernhaus (Fotoalbum H. Schwarz)

Das Heimatfest in Berkenthin 

In den 20er Jahren waren Heimatfeste in den Dörfern angesagt, in denen lauenburgische Geschichte und Brauchtum  gepflegt wurden. Am 1. und 2. Oktober 1927 fand ein solches Heimatfest in Berkenthin statt. Ausgerichtet wurde das Fest von der Schule.  Dazu hatte die Lehrerkonferenz einen großen Ausschuss gebildet, dem alle Amts-, Gemeinde- und Gutsvorsteher sowie sämtliche Vereine der Kirchspiele Berkenthin und Krummesse angehörten. Diesem Ausschuss in Gemeinschaft mit dem Heimatbund und dem Kreisausschuss für Jugendpflege gelang es, das Fest so anziehend zu gestalten, dass es dort noch heute in aller Leute Mund ist, hieß es dazu in einem zeitgenössischen Bereicht. „Im Mittelpunkte der Veranstaltung standen Vorträge über lauenburgisches Dorfleben und das lauenburgische Bauernhaus, die von den Herren Garber, Götze und Dr. Folkers gehalten wurden. Gesangsvorträge heimischer Kräfte umrahmten die Darbietungen.“

Die Ausstellung eines Bauernhaus-Modells und zahlreicher Bilder von alten und neuen lauenburgischen Bauernhäusern schlossen sich an. Am Sonntag hielt Pastor Claußen aus Sandesneben die Festpredigt, der eine  Gedenkfeier für die Gefallenen des Weltkrieges am Ehrenmal folgte. „Der Nachmittag brachte einen prächtigen Festzug, eine ergreifende Hindenburgfeier und das bunt-lebendige Bild einer Festwiese. Eine ganz vorzügliche Aufführung von Wossidlos „Buernhochtiet“ schloß das Fest am Abend ab. 

Die Lehrerkonferenz hat sich mit der schönen Veranstaltung den aufrichtigen Dank der Bevölkerung verdient.“


Quelle: N.N. in Lauenburgische Heimat. Alte Folge, Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.1928

Das Leben wird „gleichgeschaltet“

Über die Zeit des Nationalsozialismus liegen uns für Berkenthin derzeit nur wenige Quellen vor. Bezeichnenderweise fehlt z.B. der 2. Band der Schulchronik aus diesen Jahren. Es kann vermutet werden, dass man sie wie viele andere Dokumente auch  hat verschwinden lassen, um Spuren zu verwischen. Für diese Jahre bleibt somit für die Zukunft noch einiges aufzuarbeiten, um ein vollständiges Bild zu erhalten.

Bis dahin bleibt davon auszugehen, dass sich die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten hier genauso oder ähnlich vollzog wie in anderen lauenburgischen Dörfern auch. Auch in  Berkenthin hatte sich bereits in den Jahren vor 1933 eine starke Ortgruppe der NSDAP gebildet, die nach der Machtergreifung zur bestimmenden politischen Kraft im Ort wurde.  Nachdem Hitler Reichskanzler geworden war, wurden Gemeindevertretung, aber auch die Schule, Kirche und Vereine von der Partei durchdrungen, und alle  wichtigen Position nach und nach mit Parteigenossen besetzt, während „nicht verlässliche“ Personen hinausgedrängt wurden.  

Streit um die Kirchenwahl

Wie sich diese sogenannte  Gleichschaltung im dörflichen Bereich vollzog, sei am noch vergleichsweise harmlosen Beispiel des Kirchenvorstandes beschrieben, den die NS-Ortsgruppe ebenfalls versuchte, unter die Kontrolle der Partei zu bringen. Dazu schreibt Pastor Blunck in der Kirchenchronik: Angesichts der anstehenden Kirchenwahlen im Frühjahr 1933 forderten die inzwischen unter dem Einfluss der Nationalsozialisten stehende Kirchenbehörde die Kirchengemeinden offen dazu auf, nur Persönlichkeiten aufzustellen, die nicht nur „politisch einwandfrei“, sondern auch positiv zur Weltanschauung des Nationalsozialismus stünden. Daraufhin setzte sich der Berkenthiner Pastor mit dem Ortsgruppenleiter der NSDAP zusammen, um diesem die inzwischen von der Kirchenseite aufgestellte Kandidatenliste zu zeigen. Der Ortgruppenleiter zeigte sich zunächst grundsätzlich einverstanden,  erklärte aber, er müsse dies mit der Parteiversammlung der Ortsgruppe abstimmen. Hier erhob sich nun allerdings Widerstand gegen die Nominierung des Bauunternehmers Heinrich Schwarz. Dieser sei für die NSDAP nicht tragbar, so hieß es,  da er mit Mitgliedern der Ortsgruppe „gefährliche politische Differenzen“ habe. Pastor Blunck hielt aber dennoch  an  Schwarz fest, den er gegenüber dem Ortsgruppenleiter als einen „menschlich einwandfreien“ und kirchlich bemühten Mann verteidigte.  Außerdem sei Schwarz als langjähriger Kirchenrechnungsprüfer für den Kirchenvorstand  unersetzlich.

Pastor Blunck versuchte das kirchliche Leben von politischer Einflussnahme freizuhalten.

Die NS-Ortsgruppe bestand auf ihrer Position und lehnte nun die ganze von der Kirchengemeinde aufgestellte Liste ab und präsentierte eine eigene Kandidatenliste mit dem Vermerk „NSDAP“. Als der Vorgang in kirchlich gesinnten Kreisen der Gemeinde bekannt wurde, erregte dies heftigen Unmut und es wurde eine zweite Liste mit dem Vermerk „Kirchlich unpolitische Liste“ erstellt. Auch diese Liste erhielt die nötige Zahl an Unterschriften und musste damit gegen die Widerstand des Ortsgruppenleiters für gültig erklärt werden. Nachdem auch weitere Versuche seitens der NS-Ortsgruppe, die Wahl zu verhindern, gescheitert waren, konnte schließlich am 23. Juli 1933 gewählt werden. Dabei fielen bei einer niedrigen Wahlbeteiligung  123 Stimmen auf die Liste der NSDAP, während die kirchliche Liste  84 Stimmen erhielt. Damit wurden 7 Vertreter des ersten Vorschlags und 5 des zweiten gewählt, aber immerhin war ein eindeutig nationalsozialistisch besetzter Kirchenvorstand verhindert worden. Blunck wurde daraufhin für seine „moralisch verwerfliche“ Haltung kritisiert und ein offensichtlich der NSDAP nahestehenden Leserbriefschreiber vermutet denn auch hinter das Wahl das „Treiben reaktionärer deutschnationaler“ Kreise.

Die Hakenkreuzfahne am Kirchturm

Bei der Einführung des neuen Kirchenvorstandes eine Woche später wehte zum ersten Mal die Hakenkreuzfahne vom  Kirchturm. Obwohl es ihr nicht gelungen war, den Kirchenvorstand gänzlich zu dominieren, machten die Nazis damit doch unzweifelhaft ihren Führungsanspruch deutlich. Auf dem Weg vom Pastorat in die Kirche sah sich der sich später zur Bekennenden Kirche zählende Pastor dann genötigt, die neuen Kirchenvertreter aufzufordern, vor der Fahne ihre Köpf zu entblößen.

Auch wenn der Kirche noch Termine zugesichert wurden, sicherte sich die Partei durch Abkommen wie diesem ihren bestimmenden Einfluss auf die Jugend.

Bezeichnend dann auch die Versuche der Partei, sämtliche kirchlichen Jugendgruppen unter die Oberhoheit der Verbände der Hitlerjugend zu stellen. Auch wenn sich der Pastor in den folgenden Jahren darum bemühte, den Posaunenchor und auch den kirchlichen Jungmädelbund unter kirchlicher Aufsicht zu erhalten, musste er doch eine Vereinbarung unterschreiben, die diese letztendlich in die NS-Jugendorganisationen eingliederte. Lediglich an zwei festzusetzenden Tagen sollte die Jugendlichen dann vom Dienst in der nationalsozialistischen HJ  bzw. im BDM (Bund Deutscher Mädel) befreit werden.

Die Gleichschaltung der anderen Vereine und Organisationen vollzog sich analog, so dass schließlich das ganze örtliche Leben von der Partei bestimmt wurde. Wie sich das im einzelnen vollzog und welche Widerstände es gab, bleibt einer späteren Aufarbeitung vorbehalten. Uniformen prägten auch in Berkenthin das Dorfbild, parteipolitische Veranstaltungen, Aufmärsche oder auch Sportveranstaltungen gliederten den Jahreslauf.

Quellen:

Kirchenchronik Berkenthin, a.a.O.

Kirchenarchiv HL 37: Eingliederung der Evangelischen Jugend in die Hitlerjugend und in den Bund Deutscher Mädchen

„Leid, das man lieber verschweigt… misshandelt, entwürdigt, stigmatisiert!“ 

Mit diesem Satz beginnt eine Dokumentation des  Kreisarchivs zur Zwangssterilisationen im Kreis Herzogtum Lauenburg 1934 – 1945. In den Eingangsworten dazu heißt es weiter:

„Zwangssterilisationen in der Zeit des Nationalsozialismus im Kreis Herzogtum Lauenburg – gewiss eine Thematik, die heikel und schwierig ist. Ein Thema, an dem man lieber nicht rühren mag, um Verdrängtes nicht neu zu beleben. Aber es wäre nicht richtig, die Opfer des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 zu verschweigen, ihnen und ihrem erlittenen Unrecht keine Erinnerung zukommen zu lassen – sie als Benachteiligte des Nationalsozialismus nicht zu würdigen.“

In diesem Sinne gehört dieses dunkle Kapitel auch zur Geschichte Berkenthins, zumal alleine für Groß und Klein Berkenthin 9 solcher Fälle dokumentiert sind. Alle Fälle zeigen in schrecklicher Weise wie sehr der Alltag eines Behinderten oder Lernschwachen durch die Anwendung des Gesetzes zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes vom 18.10.1935 geprägt wurde. Es geht darum, an das begangene Unrecht zu erinnern, Unrecht an Menschen, denen Kinderlosigkeit und der Verzicht auf eine eigene Familie aufgezwungen wurde und zusätzlich stigmatisiert wurden.

Die Anzeige eines Mitbürgers, eines Nachbarn, der einen entsprechenden Verdacht hatte, konnte genügen um das staatliche Gesundheitsamt aufmerksam zu machen. Auskünfte wurden in den Schulen, beim Pastor, bei Ärzten etc. eingesammelt. Dabei gerieten neben Behinderten schnell lernschwache, kranke, arme und uneheliche Menschen in das Räderwerk einer unmenschlichen Bürokratie. Wurde der Fall erst von dem zuständigen Erbgesundheitsgerichten verhandelt, halfen auch meist die Einsprüche der verzweifelten Eltern nichts mehr.

Wenn Sie sich näher über dieses dunkle Kapitel der deutschen und Berkenthiner Geschichte anhand eindrucksvoll beschriebener Einzelfälle aus unserem Ort unterrichten wollen, verweisen wir Sie direkt auf die die Dokumentation des Kreisarchivs Ratzeburg „Leid, das man lieber verschweigt…“

 

Mord und Selbstmord im Eisenbahnzug

Ratzeburg, 25. Juli 1935. Auf dem Bahnhof in Ratzeburg wurden in einem Abteil dritter Klasse des aus Bad Oldesloe kommenden Zuges ein junger Mann und ein junges Mädchen mit Schußverletzungen aufgefunden. Der herbeigerufene Arzt konnte bei dem Jungen Mann nur noch den eingetretenen Tod feststellen. Das junge Mädchen war durch Schüsse in den Nacken und unterhalb des linken Ohres lebensgefährlich verletzt. Es wurde in das Ratzeburger Krankenhaus eingeliefert, wo es, ohne die Besinnung wiedererlangt zu haben, starb. Es handelt sich um einen jungen Mann aus Kasseburg bei Tritau und ein 16jähriges Mädchen (Käte Ehlers) aus Groß-Berkenthin. Die Ursache der Tat ist darin zu suchen, daß das junge Mädchen im Einverständnis mit ihren Eltern das Liebesverhältnis gelöst hatte. Die Tat wurde von dem jungen Mann, wie aus Zeugenaussagen hervorgeht, zwischen Bad Oldesloe und Berkenthin ausgeführt.

 

Bauer Heinrich Hack, um dessen Tante es hier ging, wußte noch zu berichten, dass die Verbindung nicht standesgemäß schien – hier galt noch „Hof zu Hof“ und nix anners.

Das „Groß-Hamburg-Gesetz“

Im Zuge der mit dem sogenannten  „Groß-Hamburg-Gesetzes“ von 1937 erfolgte die Zusammenlegung der bis dahin selbständigen Gemeinden Groß- und Klein Berkenthin und anderer Gemeinden zur neuen Gemeinde „Berkenthin“. Das Gesetz, in dessen Kern die Erweiterung des bisherigen Staatsgebietes Hamburg um volkswirtschaftlich wichtige Gebiete aus den benachbarten preußischen Landkreisen und kreisfreien Städten stand,  sah eine Reihe von weiteren Gebietsänderungen vor allem in Norddeutschland vor. Eine einschneidende Veränderung war, dass Lübeck seine 711 alte territoriale Selbstständigkeit verlor und in die Provinz Schleswig-Holstein eigegliedert wurde.  

Von eher lokaler Bedeutung waren dagegen die Zusammenlegungen im lauenburgischen Bereich. so wurde die  Bildung der neuen Gemeinde Berkenthin wie alle anderen Veränderungen  auf rein administrativem Weg ohne jegliche Beteiligung der Bevölkerung der betroffenen Gemeinden vollzogen. In einem Aktenvermerk dazu hieß es nüchtern:

„ Die Gemeinden Göldenitz, Groß Berkenthin, Klein Berkenthin, Hollenbek und Kählstorf werden auf Beschluss des Oberpräsidenten der Provinz Schleswig-Holstein  mit  Wirkung vom 1. Oktober 1938 aufgelöst und einer Gemeinde „Berkenthin“ zusammengeschlossen.“

Alle betroffenen Gemeinden wurden im Wege der Zusammenlegung aufgefordert, ihre Kassengeschäfte unter Mitwirkung von Beamten des Gemeindeprüfungsamtes abzuschließen und dem neuen Kassenverwalter der Gemeinde zu übergeben. Die Bürgermeister und die entsprechenden Beiräte – gewählte Gemeindevertretungen gab des gemäß der nationalsozialistischen Gemeindeordnung nicht mehr – wurden aus ihren Ämtern entlassen. 

Während Groß Berkenthin 1933 noch 211 Einwohner zählte und Klein Berkenthin 385, erhöhte sich nun die Einwohnerzahl zusammen mit den anderen Ortsteilen auf  861, um dann allerdings bedingt durch den Zustrom von Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten bei Ende des Krieges auf weit über 2000 anzuwachsen.  Die ausgewiesene Gemeindefläche für Groß Berkenthin hatte  zuvor 517 ha betragen, zu Klein Berkenthin gehörten 312 ha. 1938 erhöhte sich die Gemeindefläche zusammen mit Kählstorf ( (193 ha), Hollenbek ( 241 ha) und Göldenitz (466 ha) auf insgesamt 1728 ha.

Erster Bürgermeister der neuen Gemeinde Berkenthin wurde der Landwirt Hugo Rath aus Klein Berkenthin.  Als dann 1943 Hugo Rath zum Wehrdienst eingezogen wurde, wurde der Maurermeister Heinrich Schwarz zu seinem Nachfolger ernannt, obwohl er nicht der NSDAP angehörte. Aber sowohl der 1. Beigeordnete Friedrich Hack  als auch der  Beigeordnete Oelers aus Hollenbek hatten erklärt, dass sie sich nicht zur Führung des Amtes in der Lage sehen würden.

Die 1938 gebildete Gemeinde Berkenthin bestand bis 1951. In diesem Jahr wurde zunächst der Ortsteil  Göldenitz auf eigenen Wunsch wieder ausgegliedert und  wurde wieder eine eigenständige Gemeinde. Die Gemeindevertretung  Berkenthin hatte dem Wunsch der Gödenitzer sofort stattgegeben, nachdem geprüft worden war, dass der Gemeinde keine finanziellen Verluste durch die Ausgliederung entstehen würden. 1954 wurde dann der Ortsteil Hollenbek an die Gemeinde Behlendorf abgegeben, zu der es historisch und vor allem kirchlich stets engere Bindungen gegeben hatte.  Am Ende dieses Prozesses entstand die Gemeinde Berkenthin in den heutigen Grenzen, bestehend aus den historischen Ortsteilen Groß und Klein Berkenthin und Kählstorf.  1956 zählte der Ort 1237 Einwohner.

Quelle: Kreisarchiv Herzogtum  Abt. KA.1 Nr. 6312